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Offene Tagung der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Behindertenbeauftragten

Gesellschaftliche Partizipation auf dem Prüfstand und nach wie vor große Herausforderung

Am 5. März 2018 lud Stephan Pöhler, Beauftragter der Sächsischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, die kommunalen Behindertenbeauftragten, Mitglieder des Landesbeirates und der kommunalen Beiräte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Vertreter der Selbsthilfeverbände von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen, Vertreter der Staatsregierung, Mitglieder des Landtages, Vertreter der Wohlfahrtsverbände sowie weiterer Einrichtungen und Dienste zur jährlich stattfindenden öffentlichen Beratung der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Behindertenbeauftragten nach Dresden in das Haus der Kreuzkirche ein. Der Einladung waren ca. 150 Teilnehmer gefolgt.

Die Zusammenkunft widmete sich diesmal dem Thema: „Gesellschaftliche Partizipation“.

In seiner Begrüßung hob Stephan Pöhler heraus, dass er sich in seiner Funktion als Monitoringstelle und aktiver Begleiter der Umsetzung des Aktionsplanes der Staatsregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verstehe. Er unterstrich, dass Partizipation in der Gesellschaft gelebt werden müsse, um bei den Behinderten anzukommen und real wahrgenommen zu werden. Auf die künftige maßgebliche Interessenvertretung der Menschen mit Behinderungen kommen dabei neue qualitative Ansprüche und Herausforderungen zu.

Im Folgenden beleuchteten mehrere Referenten verschiedene Aspekte des Tagungsthemas. Dies waren:

  • Dr. Leander Palleit, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Monitoringstelle zur UN-Behindertenrechtskonvention in Berlin;
  • Alexander Meyer, Referatsleiter im Sächsischen Staatsministerium der Justiz;
  • Birger Höhn/Anna Döring, LIGA Selbstvertretung/CEREBRIO – Verein für Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen in Sachsen e.V.

Am Nachmittag verlas Siegfried Schnabel, Referatsleiter beim Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz ein Grußwort der Abteilungsleiterin Frau Jessen.

Dr. Palleit stellte in seinem Impulsreferat „Gesellschaftliche Partizipation“ einleitend fest, dass der Begriff „Partizipation“ mehr beinhalte, als Teilhabe/Beteiligung. Er arbeitete drei spezielle „Komponentenpaare“ heraus:

  • aktive und passive Komponenten  
  • soziale und politische Komponenten
  • individuelle und kollektive Komponenten.

Das aktiv/passive Komponentenpaar beinhaltet die Möglichkeit des Dabeiseins und Beeinflussenkönnens durch den Betroffenen einerseits und das Ankommen, Gehörtwerden und Akzeptieren der Forderungen und Wünsche auf der anderen Seite (Politik, Verwaltung, Behörde, …).

Das soziale/politische Komponentenpaar beschreibt die Formulierung, Willensbildung und Verfolgung spezieller gruppenspezifischer (behinderten-/krankheitsspezifischer) Interessen versus ihrer politischen Umsetzung.

Das individuell/kollektive Komponentenpaar charakterisiert das Verhältnis, wie sich der Einzelne in einem Verband wiederfindet und wie andererseits der Verband/die Vereinigung im gesellschaftspolitischen Kontext Gehör findet.

Die kollektive Partizipation bedarf eines Mindestmaßes an Grundfinanzierung. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die kollektive Partizipation qualitätsgerecht ermöglichen (hauptamtliches Personal, institutionelle Förderung,…). Dies sei originäre Aufgabe des Staates. Dr. Palleit empfahl, den Gedanken eines so genannten „Partizipationsfonds“ in das neu zu schaffende sächsische Inklusionsgesetz aufzunehmen.

Alexander Meyer vom Sächsischen Staatsministerium für Justiz beleuchtete in seinem Referat "Aspekte im Spannungsfeld zwischen rechtlicher Betreuung einer Person und ihrer Entscheidungsfreiheit". Mit dem seit 1992 geltenden Betreuungsrecht sei die vormundschaftliche Entrechtung von Klienten abgeschafft und die individuelle, auf die notwendigen Unterstützungsbereiche konzentrierte Betrachtung des zu Betreuenden stehe seitdem im Mittelpunkt unter Wahrung seiner maximal möglichen Entscheidungsfreiheit.

In einem emotional bewegenden Beitrag stellten Birger Höhn und Anna Döring ihre persönlichen Erfahrungen und Empfindungen zur politischen Partizipation von Menschen mit Behinderungen vor. Nach wie vor sei die volle und umfassende Information und Teilnahme von Menschen mit Behinderungen am politischen Leben nicht gewährleistet. Insbesondere die bislang noch bestehenden Ausschlüsse von behinderten Menschen am Wahlrecht stellen einen Anachronismus dar, der schnellstens abgeschafft gehöre. Sehr enttäuscht seien beide vom neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG).

Am Nachmittag schloss sich eine Diskussionsrunde zwischen den Referenten und Teilnehmern an.

Einleitend dazu verlas Siegfried Schnabel ein Grußwort des Sächsischen Sozialministeriums. Darin kam zum Ausdruck, dass bereits eine Reihe der im Aktionsplan der Sächsischen Staatsregierung enthaltenen Maßnahmen umgesetzt seien. Das Ministerium stellte die Rolle des Sächsischen Landesbehindertenbeirates (SLB) als Bündeler der Interessen von behinderten Menschen gegenüber der Staatsregierung heraus, wünsche sich aber noch mehr Impulse aus diesem Vertretungsgremium. Das Sozialministerium habe mit der Erarbeitung des Referentenentwurfes zu einem neuen Sächsischen Inklusionsgesetz begonnen, das bis Jahresende 2018 vom Landtag verabschiedet werden solle. Dazu soll ein öffentliches Beteiligungsportal eingerichtet werden.

Die Überprüfung und Novellierung der bestehenden Förderrichtlinie „Teilhabe“ sei aber verschoben worden.

Weitergeführt wird die Aktion „Lieblingsplätze in Sachsen“, die in den vergangenen Jahren eine große Resonanz erfahren habe.

In der weiteren Diskussion wurden Probleme bei der Arbeit mit dem persönlichen Budget, Möglichkeiten der Überprüfung der Umsetzung des Aktionsplanes der Staatsregierung durch die Monitoringstelle des Bundes angesprochen und teilweise scharfe Kritik zur geplanten Umsetzung des BTHG auf sächsischer Ebene geübt.

„Es gibt noch immer Barrieren für Menschen mit Behinderungen. An vielen Stellen sind wir auf dem richtigen Weg, an vielen Stellen stehen wir erst am Anfang“, sagte Stephan Pöhler in der Diskussion. Es gäbe auch Erfolge bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Dies werde an den bereits umgesetzten Maßnahmen des Aktionsplans deutlich. Hohe Erwartungen seien zudem mit dem in Erarbeitung befindlichen Inklusionsgesetz verbunden.

In seinem Resümee schloss Stephan Pöhler mit den Worten: „Wir brauchen Strukturen, die es Menschen mit Behinderungen ermöglichen, von Anfang an und in vollem Umfang an der Gesellschaft teilzuhaben. Es gibt hierfür aber keine Standardlösungen. Die Schaffung einer inklusiven Gesellschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht nur Aufgabe der Politik. Es gilt alle an diesem Prozess zu beteiligen. Das Glas ist halb voll und nicht halb leer!“

Mann mit Brille und Schnauzbart

Stephan Pöhler, Behindertenbeauftragter der Sächsischen Staatsregierung/ Foto: Geschäftsstelle des Beauftragten der Sächsischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen