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Zwischen Studium und Freiwilligenarbeit

Das Leben als Inklusionsbotschafterin

In Deutschland engagierten sich 2016 rund 31 Millionen Menschen ehrenamtlich für einen guten Zweck. Dabei widmen sie ihre freie Zeit Aufgaben, die viele von uns vielleicht noch nie gehört haben. Eine solche Tätigkeit ist die eines Inklusionsbotschafters.

Das Modellprojekt „InklusionsbotschafterInnen – Vernetzung von UnterstützerInnen auf dem Weg zur Inklusion“ wurde im Jahr 2015 von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) mit finanzieller Unterstützung der Aktion Mensch ins Leben gerufen. Es läuft vorerst bis zum 31. Dezember 2019, die Inklusionsbotschafter bleiben jedoch auch nach dieser Zeit aktiv. Doch um was genau geht es dabei? Was machen die Inklusionsbotschafter eigentlich und wie kann man selbst aktiv werden? Diese Fragen haben wir der 27-jährigen Psychologie-Master-Studentin Marina Fraas gestellt, welche selbst seit einiger Zeit als Inklusionsbotschafterin tätig ist.

Begonnen hat Marina Fraas, nachdem sie vor einigen Jahren selbst von einem Schicksalsschlag betroffen war. Sie erlitt einen Schlaganfall mit anschließender Aphasie, von welchem sie sich jedoch nicht unterkriegen ließ. Im Gegenteil, sie hat studiert und sagt von sich selbst, sie hat ihr Bachelorstudium der Rehabilitationspsychologie genutzt, um so ihren Weg zurück ins Leben zu finden. Es hat ihr geholfen, andere Sichtweisen auf ihre Krankheit zu bekommen und sich von dem anfänglichen Frust über ihre Situation zu befreien. Dabei sei es wichtig, sich intensiv mit der eigenen Krankheitsgeschichte auseinanderzusetzen, Veränderungen zu akzeptieren und offen für Neues zu sein. Die Erfahrungen, die sie in dieser Zeit gemacht hat, wollte sie auch an andere Betroffene weitergeben. Zu diesem Zweck hatte sie sich bei einer Ausschreibung der Projektträger ISL und Aktion Mensch als Inklusionsbotschafterin beworben, wo sie sich nun neben ihrem Studium engagiert. Die ISL sucht regelmäßig Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, die als Botschafter für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventionen kämpfen und die Inklusionsbemühungen vorantreiben.

In Deutschland sind aktuell bereits 66 Inklusionsbotschafter aktiv, die sich für ganz verschiedene Projekte einsetzen. Dabei werden sie zusätzlich mit Schulungen und gemeinsamen Treffen zum stetigen Austausch angeregt und mit Ideen unterstützt. Ihr Ziel ist es einerseits, die Bedingungen für Menschen mit Behinderungen zu verbessern und sie in die Gesellschaft zu integrieren. Andererseits wollen sie ihnen aber auch wie Marina Fraas dabei helfen, eine neue Identität aufzubauen oder das Selbstbewusstsein zu stärken und wieder neuen Lebensmut zu finden. Dass dies gar nicht immer so einfach ist, musste auch Marina Fraas erfahren. Nach ihrem Schlaganfall wollte sie sich trotz einigen Gegenwindes nicht von ihrem Wunsch abbringen lassen, ein Studium zu beginnen. Auch wenn dieser Gegenwind sie stärker gemacht hat, wie sie heute von sich sagt, hätte sie sich damals mehr Unterstützung gewünscht. Sowohl vom Staat als auch von Ärzten und anderen Beteiligten fühlte sie sich alleingelassen, teils sogar diskriminiert aufgrund ihrer Krankheit, wie beispielsweise bei der Praktikumssuche.

Für eben diese Unterstützung will sie sich nun einsetzen und arbeitet hierfür mit verschiedenen Selbsthilfegruppen und Netzwerken zusammen, unter anderem der Deutschen Schlaganfallhilfe sowie dem sächsischen Netzwerk zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention von Menschen mit Behinderung, der "LIGA Selbstvertretung Sachsen – Behinderung und Menschenrechte in Sachsen!“, welche den Prozess der Umsetzung dieses Aktionsplanes kritisch begleiten und dabei auch ein deutliches politisches Zeichen in Sachsen setzen will. Die 27-jährige versteht sich in ihrer Rolle als Inklusionsbotschafterin dabei als Netzwerkerin, die verschiedene Stellen der Behindertenarbeit zusammenbringt und sie so zu einer ganzheitlichen Inklusion führt. Sie selbst hat die Erfahrung machen müssen, dass viele Beratungsstellen auf die Probleme und Bedürfnisse der Betroffenen nur oberflächlich eingehen. Statt ihr den Weg zurück ins Studium zu erleichtern, empfahlen sie ihr die Arbeit in einer Behindertenwerkstatt. Unterstützung bei Dingen wie Nachteilsausgleich und Härtefallantrag musste sie sich selbst holen, obwohl genau hier Hilfe dringend nötig wäre.

Um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden, versuchen Inklusionsbotschafter wie Marina Fraas mithilfe von Vorträgen zum Thema Inklusion, aber auch durch Selbsthilfegruppen Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenzubringen und auf diese Art für mehr Akzeptanz und Toleranz in der Gesellschaft zu sorgen. Für sie sind Aufgaben wie die eines Inklusionsbotschafters weniger eine Arbeit, sondern viel mehr eine gute Möglichkeit, anderen Betroffenen sowie deren Angehörigen Mut zu machen und beim Aufbau sozialer und auch psychischer Stabilität zu helfen. Profitieren können davon alle.

Marina Fraas leitete beispielsweise einen Workshop am Aphasiker-Zentrum in Oberfranken, welcher sich mit dem Einhandstricken oder auch „Inklusionsstricken“, wie sie es nennt, befasste. Dabei wurden verschiedene Techniken des Inklusionsstrickens sowie Spinnen, Filzen und Wikinger-Stricken mit nur einer Hand erlernt. Auch in Sachsen könnte ein solches Angebot für Betroffene bald möglich sein. Frau Fraas möchte auch in Zukunft sehr gerne in Sachsen in der unabhängigen Teilhabeberatung oder ähnlichen Bereichen tätig sein, sodass sie hier für derartige Vorhaben zur Verfügung steht. Die Diakonie Dresden bemüht sich bereits um solch einen Workshop in der Region und auch das Aphasiker-Zentrum Süd-West-Sachsen, in welchem Marina Fraas ebenfalls involviert ist, hat Interesse an einer Zusammenarbeit. Solche Aktivitäten ermöglichen es Menschen mit Behinderungen, ihre kreative Ader auszuleben und ihre Leidenschaft trotz Einschränkung nicht aufgeben zu müssen. „Es ist schön zu sehen, wenn Menschen mit einem besseren Gefühl wieder weggehen, als sie gekommen sind“, sagt sie zu ihrer Arbeit. Das sich diese auszahlt, wurde ihr vom ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck beim Bürgerfest auf Schloss Bellevue 2015 bestätigt. 2014 wurde sie außerdem mit dem Motivationspreis der Deutschen Schlaganfall-Hilfe ausgezeichnet.

Wer sich über die Arbeit der Inklusionsbotschafter noch genauer informieren will, der kann dies auf der Internetseite der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V.sowie der Nachrichtenseite der Kooperation Behinderter im Internet e. V. tun. Für alle anderen Menschen, die sich ebenfalls gern aktiv engagieren wollen, empfiehlt Marina Fraas, sich einfach vor Ort an Anlaufstellen für Betroffene zu wenden und sich zu informieren, wo Hilfe gebraucht wird. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung, angefangen bei inklusiven Kaffeetischen bis hin zu Schlaganfalllotsen. Jeder der einen Beitrag zur Inklusion leisten will, hat die Chance, Menschen mit Behinderung den Weg in einen ganz normalen Alltag zu erleichtern, sodass am Ende alle - mit und ohne Behinderung - als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen werden.

Die Redaktion dankt für das Gespräch.

 

Junge Frau mit kurzen Haren, rundlichen Gesicht und freundlichem Lächeln

Urheber: Marina Fraas