Franziska, Dresden
Ich bin Franziska, komme gebürtig aus Frankfurt an der Oder, habe in verschiedenen Städten studiert und überall und nirgends gewohnt. Seit 2016 wohne ich samt Familie in Dresden. Ich bin selbständige Grafikdesignerin, Gründerin und ich habe Multiple Sklerose (MS).
Der Wunsch nach einem Kind war für meinen Mann und mich der Grund, gemeinsam in Dresden zu leben. Mein Mann lebte bereits hier, und ich bin aus der Schweiz nachgezogen, weil wir unsere Familien gern in der Nähe haben wollten.
Mit der MS ist es oft so, dass weitere Erkrankungen hinzukommen. Auch bei mir ist das der Fall. Neben der MS habe ich Endometriose, eine Schilddrüsenunterfunktion, Neurodermitis, eine Fehlbildung der Gebärmutter und litt unter Depressionen. All diese Diagnosen spielten beim Thema Kinderwunsch natürlich eine Rolle. Gerade die Ärzte haben dabei oft Bedenken geäußert, was mich sehr verunsichert hat.
Es klingt verrückt, aber wenn man schwanger ist, wird die MS quasi auf Pause gesetzt.
Bevor ich schwanger wurde, hatte ich eine Operation, um mir wegen der Fehlbildung meiner Gebärmutter anzusehen, wie sie aufgebaut ist. Dabei wurde entdeckt, dass ich Endometriose habe, und alles Gewebe, das durch die Krankheit verursacht wurde, wurde entfernt. Kurz danach bin ich überraschend schwanger geworden. Und was soll ich sagen. Ich habe mich noch nie so gesund gefühlt wie in meiner Schwangerschaft. Mir ging es richtig gut. Ich hatte Energie, ich war wach, ich war da. Es klingt verrückt, aber wenn man schwanger ist, wird die MS quasi auf Pause gesetzt. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen.
Die eigentliche Gefahr kommt dann nach der Geburt, denn nach der Entbindung findet eine weitere Hormonumstellung statt und dann kann es zu schweren MS Schüben kommen. Das hatte ich aber glücklicherweise alles nicht. Ich hatte eher die normalen Probleme, also Schlafmangel und so weiter. Unser Kind brauchte viel Nähe und Aufmerksamkeit und ich habe wieder gemerkt, dass mein Energiehaushalt einfach nicht gut ist. Ich bin ein Mensch, der auch unbedingt seinen Schlaf braucht. Das war dann nicht so schön und diese permanente Müdigkeit habe ich sehr gespürt. Ich hatte aber nie einen Schub und habe nach der Geburt keine MS-Medikamente genommen.
Erst im Frühjahr 2024 habe ich gemerkt, dass mir Dinge aus der Hand fallen. Einfach so, die ganze Zeit. Im ersten Moment klingt das nicht so tragisch, aber es war nicht normal für mich. Im Sommer habe ich dann gemerkt, dass Fatigue (Erschöpfung) präsenter wird. Das wurde zunehmend mehr. Bei mir zeigt sich das so, dass ich morgens aufstehe und mich fühle, als hätte mich ein LKW überfahren. Als Selbständige habe ich dann trotzdem gearbeitet und vor dem Rechner gesessen. Ich konnte mich aber auf nichts konzentrieren, konnte nicht mal mehr Mails lesen. Alles hat weh getan, starke Kopfschmerzen, die Augen haben gebrannt. Das Einzige was ging, war mich hinzulegen und die Situation anzunehmen und zu warten, bis es wieder weg ist. Meistens war das erst am nächsten Tag der Fall. Woher das kommt, kann ich nicht sagen. Ich meide mittlerweile bestimmte Stresssituation, also beispielsweise Veranstaltungen mit vielen Menschen und heiße Temperaturen vertrage ich auch nur sehr schlecht.
In meinem letzten MRT Bericht hat man gesehen, dass es neue Läsionen gibt. Ich hatte bis dahin keinen neuen Schub. Die Gehirnaktivitäten waren aber da, also neue Vernarbungen und Entzündungen. Und ich hatte so eine große Läsion, dass man gar nicht mehr gesehen hat, wie viele es im Einzelnen waren. Also war in meinem Kopf eine Menge los, was sich mit meinen Symptomen gedeckt hat.
Seit 2017 weiß ich, dass ich MS habe. 2016 hatte ich meinen ersten großen Schub. Ich bin richtig doll in die MS geknallt.
Seit 2017 weiß ich, dass ich MS habe. 2016 hatte ich meinen ersten großen Schub. Ich bin richtig doll in die MS geknallt. Eines Tages bin ich morgens aufgestanden und meine Hand war eingeschlafen. So hat sie sich angefühlt. Ich bin trotzdem auf Arbeit gegangen und habe eine Tablette gegen Kopfschmerzen genommen. Aber die Hand fühlte sich immer noch eingeschlafen an. Im Laufe das Tages habe ich dann gemerkt, dass ich meine Hand nicht mehr richtig benutzen konnte, die Kraft ging mir völlig verloren. Das Kribbeln ging immer weiter hoch in den Arm. Und was machte ich? Ich habe eine zweite Tablette genommen, damit ich arbeiten kann. Am Abend habe ich mich dann ins Bett gelegt und dann fing plötzlich die Hälfte von meinem Kopf an zu kribbeln. Und da hat es dann auch bei mir Alarm geschlagen. Mein Mann war zu diesem Zeitpunkt auf einer Beerdigung, deshalb rief ich meine Familie an und meinte, dass wir ins Krankenhaus müssen. Wir sind ins Krankenhaus gefahren, wo ich mit Verdacht auf Schlaganfall aufgenommen wurde. Dann hatte ich noch Sensibilitätsstörungen, d.h. man hat mich angefasst und es hat gebrannt wie Feuer. Mein Arm hat sich immer mehr wie Beton angefühlt, es war ganz komisch. Das Gefühl hat sich immer mehr auf Bein und Fuß ausgebreitet. Meine komplette rechte Körperhälfte hat gekribbelt und sich komplett anders angefühlt und geschmerzt. Es war so unangenehm und ich konnte dann auch nur noch Kaffeebohnen laufen. Die Straße überqueren hat sehr lange gedauert, weil ich motorisch nicht mehr funktionierte, wie vorher.
In der Klinik wurde der Verdacht Multiple Sklerose ausgesprochen. Ich bekam eine Kortison Stoßtherapie und Schmerzmittel. Mit dem Verdacht auf MS und vielen Prospekten in der Hand wurde ich entlassen. Eine Ärztin war aber ganz toll. Sie kam zu mir, als ich noch in der Klinik im Bett lag, hat sich auf den Fußboden gesetzt und gesagt, dass es ihr richtig leidtut, dass es den Verdacht auf MS bei mir gibt. Dass es aber mittlerweile Möglichkeiten gibt, sich trotzdem ein schönes Leben zu machen. Da habe ich gemerkt, dass etwas im Gange ist, was schwerwiegender ist, als beispielsweise mit einer Grippe nach Hause zu gehen. Es war aber trotzdem schön, dass sich diese eine Ärztin Zeit für mich genommen hat. Und ich habe auch einen Kontakt zu einem Neurologen hier in Dresden erhalten, der sich mit der Thematik sehr gut auskennt. Ich hatte Glück, dass ich bei diesem Neurologen untergekommen bin. Die Prospekte dagegen haben mich nur wütend gemacht. Alles war so geschönt dargestellt und ich hatte echt das Gefühl, dass eine echte Abbildung der Krankheit nicht stattfand.
Der Verdacht auf MS wurde mir schnell hingeknallt, aber wirklich aufgefangen wurde ich im Krankenhaus nicht.
Der Umgang in der Klinik war sonst nicht so sensibel, wie mit der Ärztin. Der Verdacht wurde mir schnell hingeknallt, aber wirklich aufgefangen wurde ich im Krankenhaus nicht. Der Schub hat bei mir knapp zwei Monate gedauert, bis sich diese Störungen wieder zurückgebildet hatten und ich meinen Körper, so, wie ich ihn kannte wieder hatte. Und gleichzeitig war dennoch alles anders.
Mein Mann war stets an meiner Seite und hat sich um mich gekümmert, und das mit einer Selbstverständlichkeit, dass sie mich bis heute rührt. Ich war also nie alleine. Ich selbst war auch gar nicht aufnahmefähig, ich wusste nicht, was mit mir passiert und was mir im Krankenhaus alles erzählt wurde. Und diese Prospekte machen eigentlich nur alles schlimmer. Ich wusste bis dato auch gar nicht, was MS ist. Erst mein Neurologe hat mich ein wenig geerdet. Er meinte, dass wir erst einmal mein zweites MRT in einem halben Jahr abwarten sollten, und dann kann man sagen, ob ich MS habe oder nicht. Aber dieses MRT zeigte leider wieder, dass neue Läsionen dazugekommen sind. Mein Neurologe konnte somit nur bestätigen, dass es MS ist.
Die vielen Jahre, die ich dazwischen Ruhe hatte, hätten bedeuten können, dass ich zu den wenigen Menschen gehöre, die nie wieder aktiv etwas von ihrer MS spüren. Daran habe ich fest geglaubt, aber leider war es eben nicht so. Aber immerhin hatte ich sieben Jahre Ruhe, bis dann, wie beschrieben, der Hammer kam und ich gespürt habe, dass die MS wieder aktiv da ist. Das war auch der Zeitpunkt für mich, meine Einstellung zur MS zu ändern. Damit meine ich die Krankheit zu akzeptieren, auch wenn sie nicht so läuft, wie bei anderen. Das Gruselige für mich war einfach, dass ich nicht solche Schübe habe, über die ich sprechen kann, sondern es passiert etwas in meinem Kopf, was sich aber nicht als Schub äußert. Es ist eher ein stetiger Prozess, sie wird aber bei mir immer noch als schubartig eingestuft. Die MS war nun einfach spürbarer.
Als ich damals den Schub hatte, hat es sich so angefühlt, dass mein Geist und meine Seele, in einem Körper stecken, in den sie nicht hingehören. Es hat nichts mehr zusammengepasst. Ich hatte dieses Gefühl, dass ich keine Kontrolle mehr über mich habe, obwohl ich schon sehr auf mich geachtet habe und immer noch tue. Ich muss auch etwas tun, denn nur gute Gedanken reichen nicht. Ich achte auf meine Ernährung, aber ohne Stress und ich gönne mir auch was. Und ich akzeptiere, wenn mein Körper mir zeigt, dass etwas los ist: Pass auf, das geht in keine gesunde Richtung. Schlaf ist ein riesiges Thema. Letztes Jahr habe ich wieder angefangen, Sport zu machen. Ich gehe Joggen. Es hilft mir, Dinge besser einzuordnen und nicht in so eine Gedankenspirale zu kommen. Natürlich ist es auch gut für den Körper, ihn zu spüren und mich in meinem eigenen Tempo zu bewegen.
Warum man MS bekommt, ist noch nicht geklärt. Es ist klar, dass MS verschiedene Ursachen haben kann, zum Beispiel das Eppstein-Barr Virus. Es erkranken mehr Frauen als Männer, aber genau kann man nicht sagen, was MS auslöst. Es gibt aktuell keine Heilung, man kann nur lernen damit umzugehen und sich ein gutes Netzwerk aufzubauen und informiert zu bleiben. Es gibt verschiedene Medikamente, die schon länger auf dem Markt sind, deren Wirksamkeit in Langzeitstudien belegt ist. Hier kann man auch schauen, ob es einen Kinderwunsch gibt, denn es gibt Medikamente, die das erlauben. Am Ende entscheidet man sich für das Medikament mit den Nebenwirkungen, mit denen man am besten klarkommt. Bei mir waren die Nebenwirkungen sehr stark, und ich habe mich kränker als ohne gefühlt.
Mich haben diese Medikamente ganz stark runtergezogen. Ich habe die gar nicht gut vertragen. Mit meiner Schwangerschaft hatte ich das Glück, dass ich sie absetzen konnte und danach habe ich mir geschworen, dass ich auch nach Alternativen suche. Deshalb mache ich gerade das Coimbra Protokoll. Es bedeutet, dass man eine überdosierte Vitamin D Therapie beginnt, aber zusammen mit einem ausgebildeten Protokollarzt. Niemals im Alleingang! Dieser Protokollarzt ist meist auch ein ausgebildeter Allgemeinarzt, der speziell dafür ausgebildet ist. Der Arzt lässt im ersten Jahr aller drei Monate Blut und Urin kontrollieren. Anhand der Ergebnisse wird die Vitamin D Dosis festgelegt und alle anderen Nahrungsergänzungsmittel, die man noch braucht. Denn was wir alle gemeinsam haben, die MS oder Rheuma haben, wir haben eine Stoffwechslungsstörung. Das heißt, wir können die Sachen, die wir aufnehmen nicht richtig verarbeiten. Das überdosierte Vitamin D zwingt uns aber dazu, dass wir das können. Man muss dann aber auf die Ernährung achten, beispielsweise muss man sich kalziumarm (keine Milchprodukte) ernähren, sich bewegen und mind. 2,5 Liter am Tag trinken. Ich wollte, bevor ich wieder die Medikamente nehmen muss, etwas anderes ausprobieren. Ich werde von einem Arzt betreut, weil das eine individuelle Behandlung ist. Es wird immer nach meinen Werten und Gesundheitszustand geguckt. Bei den Medikamenten passiert das nicht. Da bekommt jeder die gleiche Dosis, egal, ob wir uns vom Geschlecht oder Gewicht unterscheiden.
Es hat lange gedauert, jemanden zu finden, der diesen alternativen Weg mitgeht. Es gibt noch nicht so viele Protokollärzte. Letzte Woche habe ich mit der Einnahme von Vitamin D begonnen. Es ist also noch ganz frisch. Es braucht drei bis sechs Monate, bis man sagen kann, ob es etwas bringt. Der Nachteil ist, dass es von der Krankenkasse nicht bezahlt wird. Die Studienlage ist noch sehr dünn, aktuelle macht die Charité eine Studie dazu. Ich habe mit meinem Neurologen, der auf die Schulmedizin schwört, darüber gesprochen und ihm erklärt, was ich mache. Er kontrolliert mich weiter und ich bekomme meine jährlichen MRTs und auch als Ansprechpartner steht er mir zur Verfügung.
Aktueller Stand zum 16.10.2025: Ich nehme es immer noch und fühle mich gut damit. Ein paar Symptome sind weg, allerdings hatte ich die letzten zwei Wochen einen neurologischen Ausfall, den man nicht erklären kann. Ich bleibe da weiter dran und denke, dass ich erst im kommenden Jahr mehr erzählen kann.
Beim Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft Landesverband Sachsen e.V. hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich auf einer persönlichen Ebene über meine Krankheit reden konnte. Erst dort wurde die Krankheit für mich greifbar.
Damals bin ich nach meiner MS Diagnose zur Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft Landesverband Sachsen e.V. (DMSG Sachsen) gegangen, weil ich mit MS nichts anfangen konnte. Dort hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich auf einer persönlichen Ebene über meine Krankheit reden konnte. Erst dort wurde die Krankheit für mich greifbar. Ich hatte endlich Ansprechpartnerinnen, die mich nicht nur aufklären, sondern mir geholfen haben. Wenn das mit der Fatigue zunimmt, kann man z.B. auch einen Schwerbehindertenausweis beantragen. Hier wird zum Beispiel bei der Antragstellung Unterstützung geboten, denn das Verfahren ist nicht ganz ohne. Man hat also jemanden, bei dem man viele Fragen loswerden kann. Und der Verein verfügt über ein großes Netzwerk in ganz Sachsen: Reha Einrichtungen, Fragen zu Anträgen, vielleicht auch zu Pflegegraden, etc.
Als ich irgendwann im Verein erzählte was ich beruflich mache, hat mich der Landesverband gefragt, ob ich nicht den Social Media Auftritt für den Verein übernehmen möchte. Das habe ich gern übernommen, denn über Social Media können wir auch etwas bewegen und nach außen tragen. Seither mache ich das und freue mich, dass wir auf diesem Kanal über MS sprechen und kommunizieren können. Wir leisten viel Aufklärungsarbeit und versuchen zu zeigen, was wir als Landesverband machen, aber auch was die einzelnen Selbsthilfegruppen leisten. Man findet hier Menschen vor Ort – also richtige Menschen außerhalb von Social Media. Man bekommt auch Kontakte zu Ärzten und kann mit ihnen ins Gespräch kommen. Aber für mich persönlich ist das allerwichtigste, dass ich über meine Krankheit informiert bleibe und zwar mit richtigen Informationen! Denn bei meinen Recherchen über MS im Internet habe ich viele ganz schlimme Seiten und viele falsche Informationen gefunden.
Der Landesverband muss schauen, wo man Anträge stellen kann, damit man Fördermittel bekommt. Ein eingetragener Verein, wie die DMSG Sachsen, lebt von Spenden und Fördermitteln, die das jeweilige Bundesland ausstellt. Das ist auch von Bundesverband zu Bundesverband unterschiedlich. Der Verband muss so kämpfen, um zu bestehen, obwohl er sich um Schwerstbetroffene kümmert, für jeden ganz individuell da ist, damit sie neben dem Arztbesuch noch anderen Input bekommen. Das ist so schwer und ich freue mich, dass ich meinen Teil dazu beitragen kann, um mehr Menschen zu erreichen. Ich bin selbständig tätig für den Verein, aber zu einem gemeinnützigen Tarif.
Damals als ich frisch diagnostiziert war, habe ich in vielen Foren und Beiträgen gelesen und dachte nach dem dritten Satz: Ich werde definitiv im Rollstuhl landen. Das war der schnelle Ausblick. Und das ist aber überhaupt nicht der Fall. Deshalb empfehle ich, dass man sich an den Landesverband wendet, wenn man neu betroffen ist. Auch bei anderen Erkrankungen gibt es Landesverbände, die Ansprechpartner:innen haben, die sehr gut ausgebildet sind und mehr als 30 Jahre Erfahrung haben. Die nehmen sich die Zeit und fangen jeden gut auf. Die geben auch gute Tipps, weil sie sachsenweit vernetzt sind. Die haben zum MS Zentrum Kontakt, die haben zu diversen Neurolog:innen und Rehaeinrichtungen Kontakt. Sie schauen wer du bist und was dich ausmacht. Es fehlen vielleicht noch die hippen Veranstaltungen für junge Leute, aber das Wissen ist da und kann gut abgerufen werden. Die Unterhaltung mit einem Menschen ist immer noch etwas anderes, als die Suche und der Austausch im Internet. Denn jeder MS Verlauf ist anders!
Meine Beziehung hat sich mit der MS nicht verändert. Tatsächlich haben wir kurz danach geheiratet. Wir sind mehr zusammengewachsen und haben uns für einander entschieden. Bei meiner Familie und engen Freunden ist jeder auf seine Art und Weise mit meiner Diagnose umgegangen. Und es ist merkwürdig - manchmal passiert es, wenn man es jemand anderem sagt und eigentlich selbst noch verletzlich ist und ein bisschen überfordert, dass man den anderen auffangen muss. Es gab verschiedene Situationen und Dynamiken, aber am Ende habe ich jedem zu verstehen gegeben, dass er mit mir darüber reden kann, wenn er es möchte. Und wenn er nicht möchte, dann ist es auch okay.
Privat spreche ich über die MS Erkrankung, im Beruflichen mache ich es nun doch Stück für Stück mehr. Durch die Fatigue und meinen letzten Rückschlag musste ich offener mit den Menschen sprechen, mit denen ich zusammenarbeite. Ich stieß dabei auf unglaublich viel Verständnis, was mir gezeigt hat, dass ich lieber offen damit umgehen möchte – und muss – anstatt es zu verstecken. Ich möchte kein Bild mehr abgeben, als würde ich wie eine Maschine dauerhaft als selbstständige Designerin funktionieren. Tue ich nicht. Werde ich auch nicht mehr. Und das ist okay.
Wie ich künftig damit umgehe und wie sich dadurch meine Beziehungen zu den Menschen, mit denen ich arbeite, verändern werden, ist ein Prozess, in dem ich mich gerade befinde. Aber es fühlt sich schon jetzt wie ein Stück Freiheit an, so ehrlich damit umzugehen.
In diesem Jahr war ich Botschafterin bei der Aktion „THE MAY 50K“, einer Spendenaktion des Bundesverbandes der DMSG, die sich für mehr Bewegung innerhalb eines Monats einsetzt. Aber alles in deinem eigenen Tempo. Und auch das hat den Stein ins Rollen gebracht, mehr über die Erkrankung zu sprechen und ich hatte ein paar schöne Gespräche darüber.
Mir wird auch immer bewusster, welche Freiheiten ich noch habe, vor allem als Selbstständige. Trotz des großen Drucks, alles allein zu bewältigen, kann ich meinen Arbeitsplatz selbst gestalten. So gebe ich inzwischen auch Führungen durch die Dauerausstellung Mensch im DHMD. Ich mag diese Abwechslung und die Zusammenarbeit mit Menschen sehr. Und nein, es ist kein Ersatz für meine gestalterische Arbeit, sondern eine wertvolle Ergänzung. PS: ab dem März 2026 eröffnet die Sonderausstellung zum Thema Mental Health. Ich freue mich jetzt schon mich mit Menschen darüber auszutauschen.
Als betroffene Person merkt man, dass die Aufgabe bei einem selber liegt, darüber zu sprechen und aufzuklären, was nicht immer einfach ist und manche Dinge kann man einfach nicht gut erklären, wie zum Beispiel Fatigue.
Grundsätzlich ist es mir wichtig, dass man über unsichtbare Krankheiten spricht, dass man offen dafür ist. Als betroffene Person merkt man, dass die Aufgabe bei einem selber liegt, darüber zu sprechen und aufzuklären, was nicht immer einfach ist und manche Dinge kann man einfach nicht gut erklären, wie zum Beispiel Fatigue. Es wäre schön, wenn mehr über MS gesprochen wird, damit die Leute schon mal davon gehört und ein Bild von der Erkrankung haben. Die Darstellung in der Öffentlichkeit bei manchen Zeitungsartikeln ist wirklich unterirdisch. Als wäre nach einer schwierigen Zeit einfach alles wieder in Ordnung, und dann könne man gut damit umgehen. Das setzt ein so falsches Bild in den Köpfen der Menschen, bei Arbeitgebern:innen und vielleicht auch Freunden oder Angehörigen.
Wenn sie irgendwann jemanden treffen, der MS hat, können sie besser damit umgehen, beispielsweise auch als Arbeitgeber. Aufklärung ist unheimlich wichtig und muss klar auf den Punkt kommen, besonders von Ärzt:innen und in Krankenhäusern. Ich kenne niemanden, der einen schönen Diagnose-Weg im Krankenhaus erlebt hat. Es fehlt die Feinfühligkeit. Es ist auch wichtig, dass man neben dem ärztlichen Part auch Anlaufstellen genannt bekommt, wo man sich emotional hinwenden kann. Man kann nicht von der Familie und den Freunden erwarten, dass die einen immer auffangen. Auch für Angehörige gibt es mit der Erkrankung weitere Herausforderungen und auch ihr Alltag verändert sich mit der Erkrankung. Die Anlaufstellen müssen weitergegeben werden. Man darf nicht alleine gelassen werden.
Ich persönlich habe ehrlicherweise aufgehört zu planen. MS war da der Schlüsselmoment. Ich habe keine Ahnung, was in fünf Jahren ist. Und das ist auch okay für mich. Ich genieße einfach die schönen Momente in vollen Zügen. Ich schaffe mir einen Alltag, der zu mir passt. Und auch diese Routinen verändern sich bis heute stetig.
Ich wünsche mir, dass man emotional mehr aufgefangen wird und nicht nur die harten Fakten hingeknallt bekommt. Es gibt mittlerweile auch Betroffenenberater:innen, also Experten:innen in eigener Sache. Es ist grandios, wenn man mit jemandem sprechen kann, der einem auch mit einer gewissen Leichtigkeit gegenübersitzt.
MS verändert vieles, manchmal auch mich. Es gibt auch Phasen, die ruhig sind und gut laufen. Ich kann auch vieles weiterhin tun: ich jogge, arbeite selbstständig als Designerin, bin Mutter und Partnerin. Für mich ist die größte Herausforderung nicht nur, mit der Krankheit zu leben, sondern mit dem, was sie auslöst. Diese Veränderungen betreffen nicht nur meinen Alltag, sondern auch, wie ich mich selbst sehe und wer ich sein will. Für niemanden ist die eigene Identität ein fester Zustand, sondern ein Prozess, der sich mit der Zeit verändert. Die MS zwingt mich aber gelegentlich, mich neu zu definieren. Ich akzeptiere, dass sich meine Identität wandelt und dass das ein Teil meines Lebens mit MS ist. Ich bin glücklich und empfinde Dankbarkeit oft intensiver als früher. Besonders dankbar bin ich für meine kleine Familie, die mich täglich auf meiner Reise begleitet.
Für mich heißt Inklusion auch, dass Räume und Strukturen so gestaltet sind, dass alle mitmachen können, unabhängig davon, ob man eine sichtbare oder unsichtbare Behinderung hat, ob man schnell oder langsam denkt, ob man laut ist oder leise.
Inklusion beginnt im Kopf und im Miteinander. Wenn wir aufhören, Unterschiede zu bewerten, und stattdessen anfangen zuzuhören und voneinander zu lernen, entsteht etwas Echtes. So wünsche ich mir, dass wir miteinander leben und arbeiten.
Mehr Informationen:
Link zum Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft Landesverband Sachsen e.V.: https://www.dmsg.de/
Interview geführt am: 18. März 2025
Interview veröffentlicht am: 06. November 2025

