Juliane, Dresden
Ich bin Juliane oder auch Jule. Ich bin schwerhörig, was ich aber jahrelang nicht wusste. Mit 17 war ich beim HNO-Arzt, weil mein Ex-Freund sich immer darüber aufregte, dass ich ihn so schlecht verstehe. Er meinte, dass ich mir die Ohren ausspülen lassen sollte. Ich dachte mir: Ja, okay, die Ohren ausspülen lassen, warum nicht. Der HNO-Arzt stellte dann aber fest, dass meine Ohren sauber sind und ordnete deshalb einen Hör- und Akustik-Test an. Den Test habe ich nicht bestanden.
Der Arzt teilte mir mit, dass ich definitiv Hörgeräte bräuchte und wie viel diese in etwa kosten. Viel mehr Informationen habe ich aber nicht erhalten. Ich war 17 Jahre alt und hatte nur mein Ausbildungsgehalt. Ich wusste nicht, dass Krankenkassen einen Teil der Kosten übernehmen. Ich wusste auch nicht zu recherchieren. Deshalb habe ich das alles verdrängt. Wahrscheinlich auch, weil ich in meiner Schulzeit mitbekommen habe, wie man mit Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen umgegangen ist. Ich wollte nicht „besonders“ oder „anders“ sein. In meiner Schulzeit hatten wir einen Autisten in der Schule, und ich habe gesehen, wie er behandelt wurde, wie er ausgegrenzt wurde. Ich hatte in meiner Schulzeit auch selbst Mobbing-Erfahrungen machen müssen, und ich wollte so etwas nicht auch noch in meiner Ausbildung erleben.
Für mich war mehr dieses Anderssein das Problem. Deshalb habe ich die Schwerhörigkeit bis quasi 2023 ignoriert.
Mir war schon bewusst, dass man nicht nur im Alter schlecht hört und es ein Mythos ist, dass nur alte Menschen Hörgeräte brauchen. Für mich war mehr dieses Anderssein das Problem. Deshalb habe ich die Schwerhörigkeit bis quasi 2023 ignoriert. Erst dann bin ich noch einmal zu einem anderen HNO-Arzt gegangen. Er hat mich gründlich untersucht und festgestellt, dass ich von Geburt an schwerhörig bin.
Danach ist mir auch einiges klargeworden. Als Kind habe ich Wörter sehr lange falsch ausgesprochen. In sprachlichen Unterrichtskursen hatte ich extreme Verständnis-Probleme, während ich in anderen Unterrichtsfächern, wo ich viel lesen musste, alles verstanden habe. Mathematik fiel mir sehr leicht. Alles, was auch praktisch war, fiel mir extrem leicht. Aber überall, wo es um Rhetorik und Sprache ging, hatte ich immer Probleme, weil ich es nicht richtig verstanden habe. Aber woher soll man als Kind wissen, dass man schwerhörig ist?
Als ich meine Hörgeräte bekam, habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie laut ich bin.
Ich wurde in meiner Schulzeit immer gemobbt, weil ich anders war. Es wurde sehr oft betont, dass ich komisch bin. Ich war auch immer aufgedreht und laut. Und ich glaube, Kinder kommen damit nicht klar. Als ich meine Hörgeräte bekam, habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie laut ich bin. Ich habe seitdem auch keine Halsschmerzen mehr. Die hatte ich vom Reden, weil ich immer so geschrien habe. Jetzt rede ich schon leiser, glaube ich.
Als ich das erste Mal meine Hörgeräte benutzte, habe ich die ganze Zeit absichtlich geflüstert, weil ich das schön fand - dieses Geräusch, mich selbst flüstern hören zu können. Leute haben mir immer gesagt, wenn ich etwas geflüstert habe: „Du flüsterst nicht, Du schreist.“ Ich habe das nie verstanden, weil es für mich Flüstern war. Aber jetzt weiß ich, was gemeint wird.
Das Mobbing in meiner Schulzeit, hatte sicher etwas mit meiner Schwerhörigkeit zu tun. Ich war aufgedrehter und lauter, als die anderen, weil ich nicht wusste, wie ich mich sonst verständigen soll. Aber als Kind checkt man das gar nicht. Wie soll man das? Wenn jemand zum Beispiel von Geburt an nicht laufen kann, wie soll er dann wissen, wie es ist zu laufen? Du kennst es ja nicht anders, du weißt ja gar nicht, wie es ist.
Aber es wundert mich auch, dass die Lehrer nichts mitbekommen haben. Mein Arzt meinte, dass man sich als Kind besser anpassen kann.
Ich habe mit meinem Arzt und den Akustikern darüber geredet, wie ich es geschafft habe trotzdem durch die Schulzeit zu kommen. Ich habe ja meinen Mittelschul-Abschluss gemacht, zwar mit einem schlechten Noten-Durchschnitt, aber ich habe es geschafft. Ich frage mich, wie ich das überhaupt alles hinbekommen habe. Bis dann irgendwann die Probleme zu groß wurden. Im Erwachsenenalter war es für mich viel schwieriger, weil die Leute keine Geduld haben. Lehrer haben schon ein bisschen mehr Geduld. Aber es wundert mich auch, dass die Lehrer nichts mitbekommen haben. Mein Arzt meinte, dass man sich als Kind besser anpassen kann. Wenn man nicht gerade gemobbt wird und die Kinder aber auch nicht genau wissen, warum sie dich mobben, ist es ihnen eigentlich auch egal, was du hast. Hätte ich als Kind Hörgeräte gehabt, hätten mich die Kids deswegen nicht gemobbt. Sie hätten das wahrscheinlich gar nicht gemerkt. Vielleicht wären sie dadurch auch besser mit dem Thema Behinderung umgegangen, einfach weil sie Kontakt zu jemand gehabt hätten, der eine Behinderung hat. Aber sie kannten es nicht, niemand kannte es. Und bei meinen Lehrern gehe ich davon aus, dass sie schon gemerkt haben, dass etwas nicht stimmt, aber es ihnen egal war.
Meine Geschwister wussten auch nicht, dass ich schwerhörig bin. Wir haben erst Heiligabend 2024 darüber geredet. Denn zu dieser Zeit wurden beim Podcast „Weil Vielfalt fetzt“ die Folgen veröffentlicht, bei denen ich zu Gast war. Mein Bruder hatte sich die Folgen bei YouTube angesehen. Er fand den Podcast sehr gut, weil er etwas über mich gelernt hat. Mein Bruder ist wesentlich älter als ich. Er zog zu Hause aus als ich gerade drei Jahre alt war.
Mein Bruder meinte, dass ich damals später eingeschult wurde, weil ich nicht hinterher gekommen bin. Ich dachte lange, dass ich zu klein war. Im Endeffekt haben meine Eltern wahrscheinlich gedacht, dass ich nicht klug genug wäre und deswegen später eingeschult werden sollte. Ich kann meine Eltern dazu nicht fragen, weil ich zu meinem Vater gar keinen Kontakt und mit meiner Mutter hauptsächlich schriftlich Kontakt habe. Das letzte Mal habe ich meine Mutter im Mai 2024 gesehen. Ich habe sie damals auf meine Schwerhörigkeit angesprochen und ihr erzählt, dass ich von Geburt an schwerhörig bin. Ihre Antwort darauf war nur: „Keine Ahnung, wussten wir nicht.“
Meine Schulzeit selbst war hauptsächlich geprägt von Mobbing. Zumindest ist es das, was in meinem Kopf hängen geblieben ist. Ich wurde von allen Seiten fertig gemacht, selbst von den Lehrern. Wenn ich zu meinen Lehrern gegangen bin, haben sie zu mir gesagt: „Schau dich an. Überleg mal, was du anders machen kannst.“ Es waren nie die anderen Mädchen das Problem. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr auf Schule und habe viel geschwänzt.
Nach der Schulzeit habe ich ein Berufsgrundbildungsjahr (BGJ) gemacht, um herauszufinden, was ich überhaupt machen will. Ich bin in Freital an das Berufliche Schulzentrum „Otto Lilienthal“ gegangen. Ich liebe diese Berufsschule, sie ist wirklich fantastisch, sehr modern gebaut und hat ein sehr modernes Lern-Konzept. Dort habe ich Raumausstatter gelernt und dabei das Polstern für mich entdeckt. Das Polstern hat mir richtig Spaß gemacht, leider habe ich aber keinen Job gefunden, auch mit der Begründung, dass ich zu klein für den Beruf wäre. Meiner Meinung nach waren das nur dumme Ausreden. Bei den Polstereien, wo ich war, schneidern die Frauen und die Männer polstern. Ich hoffe, das hat sich inzwischen geändert. Das ist ungefähr 16 Jahre her. Aber ich habe das Schneidern als nächstes für mich entdeckt und auch einen Ausbildungsplatz als Mode-Schneiderin gefunden. Nach den zwei Jahren Ausbildung wollte ich eigentlich noch den Maß- oder Änderungs-Schneider dranhängen, habe aber nirgends einen Platz gefunden, weil ich kein Abitur habe. Weil ich aber schon so einen Hass auf die Schule geschoben habe, habe ich nicht eingesehen, noch einmal Abitur zu machen. Heute denke ich mir, ich könnte es easy machen, weil ich jetzt die Hörgeräte trage. Ich habe aber einfach auch keine Lust mehr auf Schule.
Meine Kollegen wissen von meiner Schwerhörigkeit.
Mehrere Jahre lang habe ich in verschiedenen Jobs gearbeitet, von Produktion und Lackierung bis hin zu Putz-Jobs. Irgendwann bin ich in die Halbleiter-Industrie gegangen. In meinem jetzigen Job ist alles sehr entspannt. Meine Kollegen wissen von meiner Schwerhörigkeit. Wir haben viele Kollegen mit verschiedenen körperlichen Behinderungen oder auch nicht sichtbaren Behinderungen. Ich arbeite in der Produktion. Dort habe ich keine Probleme mit meinem Gehör, da ist eh sehr laut. Ich trage meistens meine Kopfhörer und höre meine Musik, weil mir die Maschinen zu laut sind. Die Hörgeräte brauche ich auf Arbeit im Prinzip nicht.
Meine Freunde und ich machen gerade „Games of Thrones“-Abende, weil meine Mitbewohnerin ein großer Fan ist. Für die Abende nutze ich meine Hörgeräte und musste feststellen, dass ich Probleme mit den Nebengeräuschen habe. Mir fiel es am Anfang schon bisschen schwer, es auch anzusprechen: „Ihr dürft schon Chips essen, aber dieses Tüten-Rascheln, Tüte ablegen, Tüte wieder nehmen!“ Ich habe ganz lange gebraucht zu sagen, dass es mich stört, weil ich nicht unhöflich sein möchte. Ich denke auch immer, vielleicht muss ich mich noch daran gewöhnen. Aber ich habe die Hörgeräte jetzt schon ein Jahr und habe mich immer noch nicht daran gewöhnt. Jetzt haben wir Lösungen gesucht und machen die Naschereien auf Teller oder in Schüsseln.
Ich muss beim gemeinsamen Film gucken auch am besten vorne sitzen, denn wenn die anderen flüstern, höre ich das so, als ob sie direkt neben mir sitzen. Wenn ich vorne sitze nehme ich das flüstern nicht so stark wahr, es stört mich dann nicht so. Wenn wir dann über eine Szene reden und der Film pausiert, kann ich mich in die Runde drehen und mitreden.
Ich trage meine Hörgeräte nur zu bestimmten Anlässen, wie Filmabende oder wenn ich mich mit Freunden treffe. Ich habe sie immer dabei, aber auf Partys oder Konzerten bringen sie mir nichts, selbst wenn ich sie leiser einstelle. Dort ist es eh viel zu laut, deshalb würde ich prinzipiell jedem raten, die Ohren auf Konzerten oder Partys zu schützen.
Ohne Hörgeräte verstehe ich die Sprache, ich verstehe auch, dass jemand mit mir redet, ich verstehe nur manche Wörter nicht.
Dass ich Hörgeräte brauche, habe ich lange verdrängt. Ich habe aber trotzdem immer klar kommuniziert, dass ich schwerhörig bin. Erst seit 2024 habe ich Hörgeräte, für die ich etwa 270 Euro Eigenanteil pro Stück gezahlt habe. Insgesamt kosten sie aber viel mehr. Eigentlich hätte ich lieber ein anderes Modell genommen, aber dann hätte ich pro Hörgerät 900 Euro zuzahlen müssen. Ohne Hörgeräte verstehe ich die Sprache, ich verstehe auch, dass jemand mit mir redet, ich verstehe nur manche Wörter nicht. Ich habe Akustik-Probleme. Wir nutzen verschiedene Frequenzen beim Sprechen. Hohe und tiefe Frequenzen höre ich sehr gut, die sind bei mir normal. Aber alles dazwischen ist Matsch.
Am Anfang war das Feedback positiv, wenn ich gesagt habe, dass ich schwerhörig bin. Die Leute haben dann gesagt: „Entschuldige, du hörst schlecht, ich muss lauter mit dir reden.“ Ich habe dann immer wiederholt, was ich so verstanden habe, und sehr oft waren nur zwei Wörter falsch. Aber der Kopf sucht trotzdem. Du hörst diesen Brei, und dein Kopf weiß, das war ein Wort. Dann sucht er, was in diese Frequenzen reinpasst und findet nicht das richtige Wort, findet aber etwas, was ähnlich klingt, weil die Frequenzen oder die Silben passen, und dann wird aus „Paul war gestern fünf Stunden joggen“ auf einmal „Paul hat fünf Kilometer Roggen“.
Trotzdem sind die Leute irgendwann genervt. Ich hatte sehr viele Menschen in meinem Leben, die mich einfach nur angebrüllt haben, dass ich mir Hörgeräte holen soll. Sie haben nie mit mir klar kommuniziert, sondern waren einfach nur wütend. Ich kann das nachvollziehen, aber trotzdem ist das keine gute Umgangsart. Man würde ja auch seine Oma nicht anbrüllen und sie schütteln: „Hol Dir jetzt ein Hörgerät, Oma. Das nervt.“ Da würde man sich auch überlegen, wie man das Gespräch suchen kann.
Vor ungefähr drei Jahren habe ich beschlossen, mich allgemein über Hörgeräte kundig zu machen. Ich persönlich brauche meine Zeit, um Sachen zu verarbeiten. Zwei Jahre hat es dann gedauert, bis ich überhaupt die ersten Schritte gewagt habe. Mir war klar, dass es so nicht weitergehen kann. Denn Schwerhörigkeit begünstigt auch andere Krankheiten wie Demenz. Seit letztem Jahr habe ich meine Hörgeräte. Sie sind klein und kommen hinter das Ohr (Out-Ear). Andere Modelle sind viel größer und leistungsstärker. Wenn ich schlechter höre, werde ich wahrscheinlich irgendwann auch größere brauchen. Andere kann man direkt ins Ohr stecken. Ich möchte mir aber nichts in die Ohren stopfen.
Bevor ich meine Hörgeräte bekam, habe ich mir erst einmal einen HNO-Arzt in Dresden gesucht, der Hör-Checks anbietet. Prinzipiell rate ich jedem, der sein Gehör checken lassen will, sich jetzt zu kümmern. Man hat dann oft ein dreiviertel Jahr Zeit, sich über alles andere kundig zu machen. Ich hatte Glück, weil ich schon einmal bei einem HNO-Arzt in der Dresdner Neustadt war und bei ihm in der Datenbank stehe. Bei ihm habe ich innerhalb von zwei Monaten einen Termin bekommen. Er hat zuerst nur einen Hör-Test gemacht, der bei mir schon schlecht war. Aber er sagte mir, dass ich kein Hörgerät brauche und hat es so erklärt: „Wenn sie jetzt ein Hörgerät tragen, werden sie schneller schlechter hören, weil sich das Gehirn anpasst.“ Ich habe ihn trotzdem gefragt: „Sind sie sich sicher? Alle meine Freunde sagen, dass ich ein Hörgerät brauche.“ Dann hat er gesagt: „Dann machen wir noch einen Akustik-Test.“ Bei einem Akustik-Test werden über Kopfhörer zehn Wörter auf dem linken und dem rechten Ohr abgespielt. Ich habe auf dem einen Ohr nur ein Wort verstanden, auf dem anderen gar nichts.
Dann habe ich die ganzen Bescheinigungen für die Hörgeräte bekommen. Der Arzt hat mir auch erklärt, dass es mit Hörgerät genauso ist, wie mit allen Dingen im Leben: Alles in Maßen, nicht in Massen. Man braucht also eine Eingewöhnungszeit und soll die Hörgeräte nicht gleich sechs bis acht Stunden am Tag tragen.
Mit meinen ganzen Bescheinigungen bin ich zum Akustiker gegangen. Dort konnte ich jedes Hörgerät-Modell testen. Ich habe drei getestet, darunter das Kassen-Modell, das die Krankenkasse komplett übernimmt. Es hat kein Bluetooth und man kann alles nur manuell einstellen – qualitativ leider nicht das beste Modell. Es klingt die ganze Zeit, als würde man gegen einen Ventilator reden. Also, die Welt hört sich so an. Ich habe es trotzdem getestet und mit nach Hause genommen. Schon auf dem Weg nach Hause hatte ich die Hörgeräte drin: Schon alleine eine Fahrrad-Klingel klingelt: Ah! Die Straßenbahn fährt an mir vorbei: Ah! Ein Auto hupt: Ah! Es war alles erst einmal so laut, es tat alles so weh, und dann kam ich nach Hause und war froh, dass es ruhig war. Dann kam meine Mitbewohnerin und wollte eigentlich flüstern, aber sie war so laut. Ich stand da: “Aua, aua, aua.” Bei ihr habe ich gemerkt, wie sehr sie sich daran gewöhnt hatte, dass ich schwerhörig bin. Sie ist es so gewohnt, laut und schreiend mit mir zu reden, dass sie sich nun umgewöhnen muss.
Zu Hause habe ich dann das erste Mal mit Hörgeräten gekocht. Ich habe zum ersten Mal die Pfanne brutzeln hören. Endlich konnte ich etwas scharf anbraten, denn das hat viel mit dem Gehör zu tun. Das Brutzeln habe ich früher nie gehört, und dann war es endlich da. Und ich war so aufgeregt, dass ich nun Sachen scharf anbraten kann. Das war erst einmal alles ein mega Schock.
Das Kassen-Modell habe ich nicht genommen, sondern ein Modell, was Bluetooth und generell eine bessere Hörqualität hat. Ich kann die Lautstärke steuern, ich kann den Standort meiner Geräte anzeigen lassen, wenn ich die Standortbestimmung zulasse.
Wie ich schon sagte, nehme ich meine Hörgeräte nicht überall mit hin. Auf Festivals würde ich sie beispielsweise nicht mitnehmen, weil ich Angst hätte, sie zu verlieren. Ich habe sie auch versichert, falls ich sie trotzdem mal verlieren sollte.
Aller sechs Jahre hat man ein Anrecht auf neue Hörgeräte. Ich denke, in sechs Jahren wird sich technisch wieder einiges getan haben. Man kann sich bei den einigen Hörgeräten beispielsweise mit einer App irgendwo registrieren und kriegt dann auf Bahnhöfen, im Theater oder Kino den Ton auf das Handy gespielt und über Bluetooth anschließend auf die Hörgeräte. Die ganz teuren Modelle habe ich nicht getestet. Die haben ganz krasse Funktionen. Über eine App kann man beispielsweise Spracherkennung einstellen und dann automatisch übersetzen lassen. Wenn dein Gegenüber also englisch spricht und du verstehst ihn nicht, hilft dein Hörgerät. Deswegen sind bestimmte Modelle auch so teuer.
Ich hätte gern Hörgeräte, die mehr Bluetooth-Funktionen anbieten. Mit denen könnte ich Musik auf den Hörgeräten abspielen lassen oder direkt telefonieren. Zum Telefonieren wäre es besser, weil ich mein Handy irgendwo hinlegen kann, das Gespräch auf den Ohren habe und mich die anderen Leute auch verstehen, denn in den Hörgeräten sind auch Mikrofone eingebaut. Das würde es mir viel leichter machen.
Es hat auch seine Vorteile, wenn ich meine Hörgeräte nicht trage: Wenn unsere Nachbarn laut sind, höre ich es nicht.
Durch meine Hörgeräte habe ich viel an Lebensqualität dazu gewonnen, die mir in den letzten Jahren gefehlt hat. Zum Teil ist das meine Schuld, weil ich mich nicht gekümmert habe. Aber auch der elterliche Haushalt, Lehrer und einige Ärzte haben versagt. Alle haben es nicht mitbekommen oder nicht sehen wollen. Ich bin nicht wütend deswegen. Es ist einfach passiert. Ich kann es nicht mehr ändern. Aber ich habe jetzt viele „Superkräfte“ dazugewonnen. Es hat auch seine Vorteile, wenn ich meine Hörgeräte nicht trage: Wenn unsere Nachbarn laut sind, höre ich es nicht.
Ich bin natürlich auch noch im Lernprozess, manchmal habe ich bei Gesprächen trotzdem noch Probleme. Wenn auf Geburtstagsfeiern zu viele Menschen mit zu vielen Stimmen sind, dann bin ich kopftechnisch noch so sehr davon überfordert, dass ich Kopfschmerzen bekomme. Das habe ich erst gar nicht gecheckt. Ich habe mich immer gefragt, warum ich in Runden, wo ich noch nie Probleme hatte, plötzlich Kopfschmerzen bekomme. Bis ich dann einmal gegoogelt habe und herausfand, dass Hörgeräte in der Eingewöhnungsphase Kopfschmerzen erzeugen können. Das ist auch der Grund, warum ich auf Partys keine Hörgeräte mehr trage. Wenn ich zum Beispiel in eine Bar gehe, trage ich sie erst einmal, bis ich merke, es sind zu viele Reize, das überfordert mich. Dann gebe ich aber auch allen Bescheid, dass ich sie herausnehme und dass die Leute lauter mit mir reden müssen.
Ich habe mich nie als Mensch mit einer Behinderung gesehen. Jeder kommt anders damit klar. Inklusion ist für mich sehr wichtig, in jeglicher Hinsicht, also egal ob es um sichtbare oder unsichtbare Behinderungen geht. Wir müssen lernen, den Menschen mehr zu zuhören. Wir müssen darauf aufmerksam machen, dass Menschen mit Behinderungen existieren, aber aus ihnen nicht etwas „Besonderes“ machen. Man sieht es so schön bei Kindern. Wenn zum Beispiel ein Kind in einem Rollstuhl in eine Klasse kommt, sind erst einmal alle neugierig und stellen vielen Fragen – und dann ist das Thema gegessen. Das Kind ist trotzdem ein Klassenkamerad. Wenn die Kinder aber keinen Kontakt zu Menschen mit einer Behinderung haben oder es von Schule oder Eltern betont wird, dass jemand besonders ist, wird man ganz anders damit sozialisiert.
Hört den Leuten einfach zu. Das ist für mich Inklusion. Einfach fragen und umsetzen. Keine Fragen stellen, die man nicht auch „gesunden“ Menschen stellen würde. Inklusion ist für mich nachfragen und Barrierefreiheit schaffen. Ich brauche keine Barrierefreiheit, ich komme überall hin. Ich habe meine Hörgeräte, aber es gibt andere Menschen mit körperlichen Behinderungen. Dafür sollten wir mehr Raum schaffen, um diese Menschen nicht auszuschließen. Sie sind ein Teil unseres Systems und könnten am Ende auch einen Job ausführen wie jeder andere, wenn ihnen die Möglichkeit geboten wird.
Abschließend möchte ich sagen: Hört Betroffenen zu.
Bei Selbsthilfe denke ich an ‚Ich helfe mir selber‘, aber es meint das Konzept, dass man sich mit anderen Personen Hilfe sucht - sozusagen eine Gruppe von Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, die sich untereinander austauschen. Ich bin in keiner Selbsthilfegruppe, weil ich einen guten und stabilen Freundeskreis habe. Wenn ich Probleme habe, rede ich darüber, und jeder recherchiert auch dazu. Ich glaube, Selbsthilfe ist auf jeden Fall etwas Gutes. Die Stadt Dresden informiert auf ihrer Homepage über Selbsthilfegruppen und gibt auch Tipps, wie man selbst eine Selbsthilfegruppe gründen kann. Dort findet man auch Zeitpläne über aktuelle Selbsthilfegruppen und Möglichkeiten, wo man Räumlichkeiten anfragen und kostenlos bekommen kann.
Ich glaube, man muss das Thema mehr in den digitalen Raum bringen. Telegram bietet mehr Funktionen für Gruppenbildungen. Da kann man mehr recherchieren und kontrollieren. Am besten finde ich Discord, dort hat man neben der Video-Telefonie auch mehrere Räume. Es können deutschlandweit oder aus der ganzen Welt Leute dazukommen. Man ist nicht unbedingt auf eine Region fixiert. Man kann verschiedene Räume erstellen, wo es um bestimmte Themen geht, zum Beispiel Schwerhörigkeit oder die neuesten Hörgerät-Modelle.
Abschließend möchte ich sagen: Hört Betroffenen zu. Entscheidet nicht selber, was ihr denkt, was Menschen wollen oder ihnen guttun könnte. Nehmt es auch nicht als Kritik oder Vorwurf, sondern nehmt es einfach an. Wenn jemand etwas nicht möchte, dann ist das keine Anfeindung, sondern ein Feedback. Man lernt nur mit Menschen umzugehen und klarzukommen, wenn man mit ihnen redet.
Interview geführt am: 28. Januar 2025
Interview veröffentlicht am 15. Mai 2025