Justus Steinfeldt, Dresden
Ich bin Justus Steinfeldt, 25 Jahre alt und sehbehinderter Fotograf. Im 7. Semester studiere ich dual Mediendesign in Ravensburg am Bodensee. In meinem Ausbildungsbetrieb in Dresden bei „Sandstein Neue Medien“ arbeite ich dabei an der Umsetzung von barrierefreien Websites. Dort gestalte ich, wie Webseiten aussehen. Gerade die Arbeit am Computer ist für mich ideal, weil ich alles sehr einfach vergrößern kann und keine analoge Lupe in die Hand nehmen muss. Am Computer drücke ich zum Beispiel eine Tastenkombination und alles wird vergrößert – das ist praktisch.
Zum Designstudium bin ich durch die Fotografie gekommen. Seit über 12 Jahre fotografiere ich schon leidenschaftlich. In meinen Bildern möchte ich zeigen, wie ich sehe und die Welt wahrnehme. Dafür gestalte ich abstrakte Bilder, nur bestehend aus Strukturen, Formen und Farben und verdichte Perspektiven. Für manche klingt es vielleicht widersprüchlich – sehbehinderter Fotograf. Aber die Fotografie ist schon lange ein Teil von mir. Und als ich angefangen habe, habe ich nie gedacht: Kann man das mit Sehbehinderung machen? Ich habe es einfach gemacht und gemerkt: Das macht Spaß. Und warum soll man es dann nicht tun? Ich sehe nun mal so und das ist auch gut so. Von daher ist Fotografie und Gestaltung für mich ein wichtiger Teil des Lebens, auch wenn es widersprüchlich klingt.
Auch ein Designstudium klingt mit Sehbehinderung widersprüchlich. Aber eigentlich finde ich es ehrlicherweise total passend.
Auch ein Designstudium klingt mit Sehbehinderung widersprüchlich. Aber eigentlich finde ich es ehrlicherweise total passend. Denn bei uns auf Arbeit setzen wir Barrierefreiheit für öffentliche Stellen um und machen Webseiten barrierefrei. Und da bin ich ja auch Teil der Zielgruppe. Genauso ist es auch in der Fotografie: Durch mein unscharfes Sehen sehe ich vielleicht eher auch die Bildgestaltung und Komposition, die Formen und Farben und bin nicht von den Details abgelenkt. Ich finde es auch ein etwas witzig, dass es zum einen widersprüchlich klingt und zum anderen irgendwie Sinn macht.
Sehbehinderung heißt bei mir, dass ich auf meinem besseren Auge mit Hilfsmitteln mit 20 % Sehschärfe sehe. Meine Sehbehinderung, Grauer Star, ist angeboren. Die trüben Augenlinsen beim angeborenen Grauen Star wurden bei mir operativ entfernt, sodass ich keine Augenlinsen mehr im Auge habe. Deshalb trage ich Kontaktlinsen als Ersatz. Dadurch ist das Bild bei mir auf der Netzhaut vollkommen scharf, aber da ich durch die trüben Linsen direkt nach der Geburt nicht sehen lernen konnte, sehe ich jetzt 20 %.
Durch Hilfsmittel komme ich aber sehr gut zurecht. Ohne würde ich beispielsweise nicht erkennen, was an der Straßenbahn steht. Mein wichtigstes Hilfsmittel ist dafür mein Handy. Damit kann ich an Texte heranzoomen und sie dadurch lesen. Vor 10 Jahren hatte ich als Hilfsmittel dafür noch ein Fernrohr zum Vergrößern. Inzwischen nehme ich mein Handy, was ich immer dabeihabe. Damit kann auch mal weiter raus zoomen, um mich bei einem stark vergrößerten Ausschnitt zu orientieren. Und durch Navigationsapps finde ich zum Beispiel Haltestellen schneller. Fürs Lesen von langen Texten bräuchte ich auch deutlich länger, zehnmal länger habe ich einmal gemessen. Aber wenn ich es mir von meinem Handy vorlesen lassen kann, geht es wieder schnell. Von der digitalen Entwicklung profitiere ich sehr.
Viele Menschen fragen mich auch, ob ich in der Nähe oder in der Ferne scharf sehe – ich sehe sowohl in der Nähe als in der Ferne unscharf. Durch Brillen bis zu 20 Dioptrien kann ich mir aber viel vergrößern. Nur Auto darf ich nicht fahren. Ansonsten müsste ich schon überlegen was nicht geht.
Barrierefreiheit bedeutet für mich, dass man Zugang schafft.
Barrierefreiheit bedeutet für mich, dass man Zugang schafft. Dass einem auch ein normales Leben ermöglicht wird. Dass man beispielsweise einfach in ein Gebäude hineinkommt. Aber auch, dass man Informationen bekommt. Dass man beispielsweise eine Prüfung an der Uni richtig mitschreiben kann. Das sind wichtige Bereiche, bei denen es darauf ankommt, dass sie barrierefrei sind. Gerade bei behinderten Menschen umfasst es das gesamte Leben, ob man entweder zurechtzukommen oder eben nicht. Wenn es barrierefrei ist, kann man quasi alles machen – wenn Barrierefreiheit fehlt, wie noch zu häufig, wird man be- oder oft gehindert, etwas zu tun. Die Bedeutung von Barrierefreiheit ist also für Menschen mit einer Behinderung immens.
Gerade in Bezug auf die Schule und Bildung geht es vor allem um Chancengleichheit. Und wenn dort die Barrierefreiheit fehlt, ist man als behinderter Mensch benachteiligt. Das ist natürlich problematisch. Deswegen ist es generell, aber auch gerade in Bezug auf die Bildung wichtig, durch Barrierefreiheit eine Grundlage für chancengleiche Lebensläufe zu schaffen.
Ich komme durch meine Arbeit aus der digitalen Barrierefreiheit. Und gerade im Web ist für blinde Menschen noch wenig optimiert. Auf Webseiten braucht es zum Beispiel Alternativtexte bei Bildern. Alle Bilder, die im Internet sind, müssen kurz beschrieben werden, damit man weiß, was sie zeigen. Die Webseiten-Struktur muss auch richtig angelegt sein, damit man als blinde Person durchnavigieren und schnell Inhalte erfassen kann. Das sind Aspekte, die noch stärker beachtet werden müssen. Ich glaube, dass das Bewusstsein dafür in den letzten Jahren gestiegen ist. Aber in der Gesellschaft besteht vor allem in Bezug auf die Umsetzung noch Nachholbedarf. Auch im Bereich der physischen Barrieren muss mehr getan werden. Vor allem auch für nicht staatliche Stellen braucht es Verpflichtungen, die Barrierefreiheit garantieren, damit alle Menschen Zugang haben. Ein Restaurant muss beispielsweise barrierefrei sein.
Was ich so spannend an Barrierefreiheit finde, ist, dass sie nicht nur behinderten Menschen, sondern allen hilft. Natürlich vor allem behinderten Menschen, aber in der Regel ist es so, dass Barrierefreiheit auch Menschen ohne Behinderung hilft: Rollstuhlzugänge können zum Beispiel auch von Kinderwagen genutzt werden. Oder wenn Webseiten barrierefrei sind, kann man schneller erkennen, worum es geht, weil oben auf der barrierefreien Website immer eine Überschrift steht oder der Kontrast stimmt. Und bei Google sind barrierefreie Websites auch besser auffindbar. Die meisten Menschen mit Behinderung bekommen erst im Laufe des Lebens ihre Behinderung – heißt, eventuell ist man auch als Nicht-Behinderter später auf Barrierefreiheit angewiesen. Außerdem wird unsere Gesellschaft immer älter. Es gibt also genug Gründe.
[...] das Problem ist generell, dass die wenigsten Menschen Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung haben.
Neben fehlender Barrierefreiheit ist für Behinderte das Klischee „Ja, der behinderte Mensch sitzt in der Ecke, ist traurig und kann nichts...“ schädlich. Denn solches auch unterbewusstes Denken wirkt sich gerade auch auf den Arbeitsmarkt negativ aus. Und das Entkräften solcher Klischees ist für Menschen mit Behinderung, die sich zum Beispiel bewerben, natürlich schwer – und kräftezehrend. Gegen das Klischee hilft nur noch mehr Inklusion, wenn man zusammen mit Behinderten aufwächst und zur Schule geht, zum Beispiel. Denn das Problem ist generell, dass die wenigsten Menschen Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung haben. Deswegen ist Inklusion so wichtig für die gesamte Gesellschaft. Inklusion bedeutet, dass man sich mischt, dass man ein Miteinander hat: Man sollte zusammen in den Kindergarten gehen, in die Uni und zur Ausbildung. Es sollte nicht separiert werden, sondern immer Kontakt bestehen.
Ich war zum Beispiel auf einer Regelschule und wurde dort inklusiv beschult. Das war für mich sehr wichtig – zum einen für mich, um in der „normalen“ Welt zurecht zu kommen. Aber andersrum auch für Menschen, die mit mir zusammen aufgewachsen sind. Ich bekomme da auch Feedback, zum Beispiel von einer Schulfreundin. Sie macht jetzt eine Ausbildung zur Lehrerin und meinte, dass sie durch uns einen ganz anderen Zugang zu Menschen mit Behinderung hat. Wenn sie später Menschen inklusiv beschulen wird, dann weiß sie schon, dass es auch funktionieren kann. Und vielleicht ist es auch richtig cool und fördert einfach ein normales Miteinander. Man muss vielleicht ein paar Sachen beachten und wenn nötig mehr helfen und unterstützen, damit zum Beispiel für mich alles zu erkennen ist – aber dann kann es gehen.
In der Schule habe ich digital mitgeschrieben und alle Unterlagen auch digital bekommen. Das hat mir sehr geholfen. Inklusion wird ja auch mehr und mehr an Schulen umgesetzt. Doch vieles hängt dann auch wieder mit der Barrierefreiheit zusammen. Man kann zum Beispiel nur in der Schule sein, wenn sie rollstuhlgerecht gestaltet ist und die Räume gut beleuchtet sind. So schließt man Menschen mit Behinderung nicht aus. Und nur so kann man auch Klischees widerlegen. Und hat dabei noch zusammen Spaß.
Ich finde aber, die Behinderung sollte nicht im Vordergrund stehen.
Ich finde aber, die Behinderung sollte nicht im Vordergrund stehen. Im Vordergrund stehen ja eigentlich unsere Persönlichkeit: Wie wir drauf sind, was wir für Erfahrungen teilen. Und zum Thema Mitleid: Aus meiner eigenen Perspektive kann ich sagen, dass man sich irgendwie auch damit abfindet, behindert zu sein oder irgendwie abfinden muss. Und danach ist es einfach Alltag und man macht seine Sachen und es ist ganz normal. Ich meine, ich denke nicht den ganzen Tag darüber nach: „Jetzt bin ich behindert. Oh je!“ Gar nicht. Ich kenne es nicht anders. Für mich ist es normal. Und ich bin glücklich so. Die allermeisten Menschen mit Behinderung sind es auch. Am Ende ist es halt einfach ein ganz normales Leben.
Meine Fotos und weitergehendes zur Barrierefreiheit könnt ihr auf Instagram, LinkedIn oder auf meiner Website sehen:
Link zur Website von Justus: https://justussteinfeldt-photography.de/
LinkedIn Profil von Justus: https://www.linkedin.com/in/jste/
Instagram-Profil von Justus: https://www.instagram.com/justus_steinfeldt/
Interview veröffentlicht am: 08.12.2022