Marion Dittmann & Jenny Johne, Oelsnitz
Das Bergbaumuseum Oelsnitz/Erzgebirge ist in den denkmalgeschützten Industriegebäuden eines früheren Bergwerkes untergebracht. Nach Schließung des Schachtes 1971 wurden sie für den Museumsbetrieb umgebaut. Seit 1986 können sich interessierte Gäste in einem Rundgang mit Anschauungsbergwerk über den sächsischen Steinkohlenbergbau informieren. Bis 2023 wird das Museum nun saniert und umgebaut. Am Ende soll eine komplett neue Ausstellung entstehen. Der inklusive Gedanke steht dabei ganz weit oben.
Marion Dittmann: Einfach anfangen! Das ist meine gereifte Entscheidung zum Thema Inklusion. Zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit Ende der 80er Jahre hatte ich überhaupt keine Ahnung von Inklusion. Ich begann unwissend und unbeleckt in einem technischen Museum als Gästeführerin. Umso mehr empfand ich die Freude von älteren, gehbehinderten oder Rolli fahrenden Gästen mit, wenn in dem technischen Museum ein historischer Aufzug angeboten wurde, um ihnen - wie allen anderen auch - vom höchsten Punkt in unserem 50 m hohen Förderturm aus einen Rundblick zu ermöglichen. Die letzten Stufen wurden die Rollis wie selbstverständlich hochgetragen. Da würde heute mancher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Doch im Museum lebte der kollegiale Geist des Bergbaus.
Nach der politischen Wende standen neue Möglichkeiten zur Verfügung, doch Zukunft und Finanzierung waren sehr ungewiss. Trotzdem entschieden die Verantwortlichen, in zwei Treppenlifts zu investieren. Der damalige Vorsitzende des Behindertenverbandes des Landkreises bot sich sozusagen selbst als erster Tester an. Damit hatten wir ein zugegeben kleines, aber bemerkenswertes Alleinstellungsmerkmal in der Region. Das haben wir auch stolz als solches vorgeführt, genutzt und beworben. Die Resonanz war positiv. Gleichzeitig kamen dann aber weitere Notwendigkeiten hinzu: Toiletten, angekippte Spiegel, um sich aus der Rollstuhl-Sitzhöhe wirklich sehen zu können, usw. - Dinge, an die wir nie allein gedacht hätten.
Marion Dittmann: Sehr bewusst bemühe ich mich um die Begegnung mit jedem Menschen auf Augenhöhe.
Das machte nachdenklich, anderes sogar demütig. So ist das Thema Licht im Bergbau äußerst wichtig. Spielerisch wurde es Besuchern erlebbar gemacht, indem die Beleuchtung während der Führung kurz ausgeschaltet wurde. Bei Gruppen mit blinden Gästen war dies nicht nötig. Doch bei diesen Führungen dachten wir oft krampfhaft über unsere Wortwahl nach, um ja keine Formulierungen wie „hier können sie sehen…“ zu benutzen. Wie erleichternd war es, als ich während der Führung einer Gruppe von sehbeeinträchtigten Kindern eines rufen hörte: „Lass mich mal angucken.“
Sehr bewusst bemühe ich mich um die Begegnung mit jedem Menschen auf Augenhöhe.
Menschen stehen für mich immer im Mittelpunkt, ob als Gäste oder als Mitarbeitende, ob Kinder oder Erwachsene, mit oder ohne Einschränkungen.
Interessiert für das auftauchende, scheinbar neue Thema Inklusion nahm ich Ende 2013 zum ersten Mal an einer entsprechenden Weiterbildung des LKJ Sachsen e.V. in Leipzig teil. Informationen, vor allem aber Eindrücke, ließ ich in unsere museumspädagogische Arbeit einfließen. So etablierten wir seit 2015 jährlich ein abwechslungsreiches Ferienangebot unter dem Motto: barrierefrei. Wir wollen uns damit schon bei Kindern gegen die Entstehung von jeglichen Barrieren im Kopf einsetzen.
Jenny Johne: Das war auch die Zeit, als ich meine ersten Erfahrungen mit dem Thema Inklusion machte. Damals arbeitete ich als Studentin in einem kleinen Verlag für Einfache Sprache. Hier ging es darum einfachen Lesestoff anzubieten. Der Verlag arbeitete eng mit Vereinen und Verbänden zusammen. Für mich war das Thema damals Neuland, aber es war spannend und ließ in mir ein wertvolles, neues Bewusstsein wachsen.
Jenny Johne: ... das Bestreben [nach Barrierefreiheit] ist da und mit ein wenig Kreativität lassen sich (fast) immer Wege und Lösungen finden.
Marion Dittmann: Im Museum entwickelte sich besonders mit der engagierten Senioren- und Behindertenbeauftragten des Erzgebirgskreises, Frau Dittrich, eine befruchtende, angenehme Zusammenarbeit. Aber auch viele andere wurden gute Partner, sympathisch und bewundernswert humorvoll. Und dies ist eine menschliche Eigenschaft, deren positive Wirkung ich ebenfalls aus dem Bergbau heraus und dem hier typischen Humor kennen- und schätzen gelernt habe. So trat in einem Ferienprogramm ein tolles Gesangstrio von Damen mit Sehbeeinträchtigungen auf. Nicht nur deren Lied-Repertoire war lustig und erfrischend, sondern schon in ihrem Chornamen spiegelt sich ihr Humor wider: sie nennen sich „Die blinden Hühner“.
Natürlich gab es auch ein paar weniger schöne Erfahrungen. Genauso wie eine Behinderung nicht per se eine Einschränkung sein muss, so sind behinderte Menschen nicht automatisch bessere Menschen. Nachdem ich so viele angenehme Begegnungen hatte, war es bei der Vorbereitung einer Veranstaltung sehr ernüchternd zu erleben, dass zwei Vereine menschlich gar nicht miteinander konnten. Wir mussten sie sogar räumlich getrennt aufbauen und arbeiten lassen.
Jenny Johne: Seit 2018 bin ich nun auch im Bergbaumuseum dabei und erlebe von Anfang an den Wunsch Barrieren abzubauen. Das ist in einem denkmalgeschützten Gebäudekomplex leider nicht immer so einfach, aber das Bestreben ist da und mit ein wenig Kreativität lassen sich (fast) immer Wege und Lösungen finden.
Jenny Johne: Zu Workshops luden wir deshalb Menschen mit verschiedenen Behinderungen ein. Für uns sind sie quasi die Experten, die Barrieren am besten ausfindig machen und uns dabei helfen können sie zu beseitigen.
Marion Dittmann: In den nächsten beiden Jahren wird unser Museum baulich und inhaltlich erneuert. Daran mitgestalten zu können, ist eine schöne und wertvolle Herausforderung. Erfahrungen aus der bisherigen Praxis sind abzuwägen - was soll bleiben, was ist zu modernisieren und welche ganz neuen Möglichkeiten bietet (und wünscht) die neue Zeit und das zukünftige Publikum.
Wir benötigten zum Beispiel endlich Übersichtsmodelle zur Orientierung innerhalb der musealen Anlage, als auch für die Strecken unter Tage. Entwicklung und Anschaffung zweier Modelle sind mit Hilfe der Förderung durch die Sächsische Landesstelle für Museumswesen gelungen.
Während des Entstehungsprozesses haben wir wieder vieles dazugelernt, ausgebaut und überarbeitet. Wir profitierten dabei vielfältig von der großartigen Unterstützung, Flexibilität und fachlichen Beratung durch die Landesstelle. So wurden wir angehalten, nach dem Grundsatz zu planen und zu arbeiten: Nie für uns (Behinderte) ohne uns (Behinderte).
Jenny Johne: Zu Workshops luden wir deshalb Menschen mit verschiedenen Behinderungen ein. Für uns sind sie quasi die Experten, die Barrieren am besten ausfindig machen und uns dabei helfen können sie zu beseitigen.
Obwohl die erwähnten Modelle als Tastmodelle zunächst als Unterstützung für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen gedacht waren, können sie für alle nutzbringend sein. Als Exponate sollen sie ja jeden Besuchenden ästhetisch und inhaltlich ansprechen. In den bisherigen drei Workshop-Treffen brachten nun alle ihre Wünsche, Anregungen und Bedenken ein: Unsere Experten ihre Bedürfnisse, wir Museumspädagoginnen unsere didaktischen Vermittlungsansätze und die Modellbaufirmen ihre Möglichkeiten. Im Gespräch und im Probieren entwickelten sich ganz neue Einsichten und es wurden Kompromisse erarbeitet, um unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Und genau dieser gemeinsame Prozess schweißte zusammen, hatte etwas Demokratisches und brachte so viel Freude, die ansteckte.
Nun begleitet die Gruppe unsere Erneuerungsarbeit im Museum bereitwillig als Arbeitsgruppe Inklusion weiter.
Denn es gibt nach wie vor viel zu tun! Neben der neuen Dauerausstellung ist unsere Webseite ein großes Projekt, das wir angehen müssen. Schließlich findet heute der erste Kontakt bei den meisten online statt. Dort informiere ich mich über den Ort, was erwartet mich und wie komme ich da überhaupt hin. Deshalb sollten diese Informationen zwingend barrierefrei sein.
Erfreulicherweise bieten sich umgekehrt Ansätze, dass unsere Einrichtung auch als Plattform für Veranstaltungen der engagierten und vernetzten AG-Mitglieder dienen kann.
Ein weiteres Beispiel der fruchtbaren Zusammenarbeit ist wiederum unser Museumsturm. Wir waren sehr enttäuscht zu erfahren, dass von modernen baulichen und vor allem brandschutztechnischen Gesichtspunkten aus, Gehbehinderte und Rollifahrer zukünftig nicht mehr nach oben können, da eine Rettung im Brandfall unmöglich ist bzw. entsprechende Gegenmaßnahmen unbezahlbar scheinen. Doch in der gemeinsamen Unterhaltung und Überlegung fanden wir den Lösungsansatz in der digitalen Welt: über VR-Brillen lassen sich die Eindrücke vermitteln. Zudem haben somit auch Gäste mit Höhenangst die Möglichkeit der Nutzung. Inklusion ist für alle da.
Marion Dittmann: Es gibt immer einen Weg. Machen wir uns also auf, los geht’s: Anfangen!
Mehr zu Museum und Umbau: https://www.bergbaumuseum-oelsnitz.de/
Interview geführt am: 10.02.2021
Interview veröffentlicht: 13.04.2021