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Matze, Leipzig

Rollstuhl-Skaten ist meine Leidenschaft. Das kann man schlecht beschreiben. Es ist nicht wie ein Hobby. Man ist dann in seinem Tunnel und alles drum herum ist weg.

Gesichter der Inklusion

Ich bin Matze und mittlerweile 24 Jahre alt. Ich komme aus Leipzig und bin mit 16 Jahren durch eigenes Verschulden im Rollstuhl gelandet. Darauf möchte ich aber nicht näher eingehen.

Dann habe ich eigentlich ziemlich lang nichts getan, weder sportliche Aktivitäten noch sonst irgendwas. Ich habe eigentlich nur herum gelegen und „gegammelt“. Ich hatte einfach keinen Bock, irgendetwas zu machen. Meine Freunde sind zu mir gekommen, mein Vater war für mich einkaufen - eigentlich war das Leben für mich entspannt. Ich musste nicht zur Schule gehen oder arbeiten. Meine Schwester hat die Wohnung bezahlt, denn ich durfte bei ihr wohnen. Das habe ich dann zwei Jahre lang so gemacht. Was ich im Rückblick auch nicht schön finde.

Am Lingnerpark in Dresden habe ich irgendwann angefangen, die Rampen ein bisschen hoch und runter zu fahren. Und als ich, ganz klassisch, ein Video von Aaron Wheelz gesehen habe, dachte ich: Ok, das ist ganz cool.

Dann habe ich tatsächlich mit Rugby angefangen. Damit bin ich so ein bisschen in diese Sportschiene reingerutscht. Das habe ich ein Jahr lang gemacht. Ich bin auch wieder zur Schule gegangen, aber eben in Dresden. Am Lingnerpark in Dresden habe ich irgendwann angefangen, die Rampen ein bisschen hoch und runter zu fahren. Und als ich, ganz klassisch, ein Video von Aaron Wheelz gesehen habe, dachte ich: Ok, das ist ganz cool.

2019 bin ich auf einen Workshop gegangen, und habe dort David Lebuser getroffen. Er sprach meinen Kumpel Benjamin und mich nach einem Workshop an und sagte uns, dass in zwei Monaten die Weltmeisterschaft in Köln ist. Er fragte uns: „Habt ihr Bock?“ Wir haben keinen Grund gesehen, weshalb wir das nicht tun sollten. Also haben wir uns noch am gleichen Tag bei der WM angemeldet, alle Tickets gebucht und uns um einen Schlafplatz gekümmert. Und dann sind wir drei Monate später nach Köln gefahren.

Ich habe mit meinem Alltagsrollstuhl angefangen, aber der ist halt dafür einfach nicht ausgelegt.

Das war für mich das erste richtige Mal, dass ich mit dem Rollstuhl aus Leipzig rausgekommen und alleine Zug gefahren bin. In der Nacht vor dem Finale bin ich sogar tatsächlich noch im Krankenhaus gewesen, denn ich hatte bei einer U-Bahn-Fahrt einen Kreislaufzusammenbruch. Es war mir dort einfach zu warm. Da war es nicht klar, ob ich starten kann. Ich bin dann frühmorgens um 4.00 Uhr aus dem Krankenhaus entlassen worden und gerade noch rechtzeitig angekommen, um mich anzumelden und in der Kategorie „Fortgeschrittene“ zu starten. Dieses Erlebnis hat dann etwas geweckt.

Die Kategorie für Fortgeschrittene nennt sich „Division 3“. Es gibt die „Division 5“ für die Kinder, die „Division 4“ für Jugendliche bis 16 Jahre, die „Division 3“ für Fortgeschrittene jeden Alters und jeden Geschlechts. Die „Division 2“ ist für die Profis der Frauen, und „Division 1“ für Profis generell. Dort dürfen auch Frauen mitfahren.  Um es fair zu halten, gab es aber auch noch eine Kategorie, wo nur Frauen mitfahren dürfen.

Ich habe mit meinem Alltagsrollstuhl angefangen, aber der ist halt dafür einfach nicht ausgelegt. Ich habe eine ganze Weile auf Ebay gesucht und dann einen guten Rollstuhl gefunden, den mir meine Schwester dann zum Geburtstag geschenkt hat. Der hatte eine Federung drin. Aber weil der Rollstuhl mir trotzdem nicht stabil genug war, habe ich meinen Vater gefragt, ob man da etwas machen kann. Der hat dann kurzerhand das Ding mitgenommen, mich nach der Konstruktion gefragt, die ich haben möchte und es zum Schweißer gebracht. Dort hat er mir einen Stahlkäfig drunter bauen lassen. Und damit bin ich dann gestartet. Einen Tag vor der Weltmeisterschaft habe ich den Stuhl bekommen. Das heißt, ich konnte ihn vorher nicht ausprobieren. Aber ich wollte dort mitfahren. Und bin mitgefahren - trotz Kreislaufkollaps und Schulterverletzung. Ich hatte einfach Spaß.

Dadurch ist dann auch Patrick Krause auf mich aufmerksam geworden. Er hat mich gefragt, ob ich mir denn vorstellen kann, diesen Sport als Arbeit auszuführen. Da habe ich natürlich gesagt: „Klar“. Er hat mich auch gefragt, ob ich dabei wäre, ein Team „Germany“ für die Weltmeisterschaften aufzubauen. Wir haben dann zwei Jahre lang zusammengearbeitet, aber Team „Germany“ ist leider nie zustande gekommen. Das lag an der Bürokratie. Es gibt keine offizielle deutsche Nationalmannschaft, weil es nicht so ein offizieller Sport wie zum Beispiel Basketball ist. Basketball gibt es zum Beispiel auch bei den Paralympics. Aber paralympisch wird unser Sport voraussichtlich in den nächsten 40 Jahren nicht werden. Da gibt es zu wenig Teilnehmer, also zu wenig Länder, und keine Klassifizierung.

Das Problem ist, wenn man bei unserem Sport (so wie beim Basketball) eine Klassifizierung durchführen würde, dann dürften viele nicht mehr fahren. Die Teilnehmer dürften nicht mehr gegeneinander fahren, weil es da zu große Unterschiede gibt. Jede Behinderung ist anders und kann schlecht in Punkte eingeteilt werden. Wenn man beim Rugby eine Lähmung in allen vier Gliedmaßen hat, bekommt man drei bis vier Punkte. Wenn die Beine gelähmt sind und die Arme ein wenig Muskelschwund haben, bekommt man zwei Punkte. Und wenn die Hände noch funktionieren, bekommt man nur einen Punkt. Man darf in diesem System eine bestimmte Punktezahl nicht überschreiten, um sein Team aufzubauen. Das würde man in unserem Sport nicht wirklich umsetzen können. Das ist schade, und deswegen gibt es eben dieses Team „Germany“ nicht.

David Lebuser hat mich 2021 gefragt, ob ich eine Session hier in Leipzig leiten würde. Sie haben im Westen und im Norden viele Sessions, aber eben im Osten gar keine. Kurzerhand habe ich zugesagt.

Ich arbeite immer noch ehrenamtlich im deutschen Rollstuhl-Sportverband, aber eben nur nebenbei, weil „Sit´n´Skate“ den Fachbereich übernommen hat. Das sind Leute wie David Lebuser, Florian Günthers und Simone Wachowiak. Sie machen das ganz gut. Aber es ist ein riesengroßes Team, weshalb meine Arbeit dort nicht mehr so notwendig ist.
David Lebuser hat mich 2021 gefragt, ob ich eine Session hier in Leipzig leiten würde. Sie haben im Westen und im Norden viele Sessions, aber eben im Osten gar keine. Kurzerhand habe ich zugesagt. Mit ein paar anderen Leuten haben wir alles besprochen, den Versicherungsschutz geklärt und jetzt haben wir hier jeden Sonntag eine offizielle Session.

Grundsätzlich kann jeder kommen, der will. Meistens werden wir von den Eltern angeschrieben, die mit ihren Kindern vorbeikommen wollen. Manchmal passiert das über Social Media oder ich bekomme von David eine Nummer geschickt. Ich glaube die Jüngste bei uns ist vier Jahre alt. Alle sitzen im Rollstuhl, aber es dürfen auch Fußgänger vorbeikommen und das mal ausprobieren. Derzeit haben wir leider nur einen Kinderleih-Rollstuhl, aber manchmal lasse ich auch Leute mit meinem Rollstuhl fahren und ich sitze dann irgendwo rum.

Meine Freundin Julia fährt zum Beispiel auch gern mal in meinem Rollstuhl. Das ist schon sehr interessant für Fußgänger. Die Eltern wollen das immer nicht so. Sie haben wahrscheinlich einfach Angst sich zu blamieren. Aber ich finde man kann sich ja nicht blamieren, wenn man etwas zum ersten Mal macht.

Aber im Großen und Ganzen geht es darum, dass die Kids einen Ort haben, wo sie sich ausprobieren können, und auch um für den Alltag Fähigkeiten zu lernen.

Angefangen haben wir bei unseren ersten Sessions mit fünf bis sechs Leuten, auch hauptsächlich eher Jugendliche oder Freunde von uns, die wir schon kannten. Mittlerweile haben wir so 10 bis 12 Teilnehmer. Meistens sind wir drinnen. Wir könnten auch die Außenanlage nutzen, aber die ist vor allem tagsüber eigentlich immer befahren. Die Halle haben wir dann zwei Stunden lang komplett für uns und müssen das nicht mal bezahlen, da sie vom Heizhaus zur Verfügung gestellt wird.

Wir haben tatsächlich nicht nur Leute aus Leipzig, sondern auch welche, die aus Stendal, Gera, Chemnitz oder Halle kommen. Ich glaube eine Familie kam auch aus Erfurt. Die Sessions gibt es seit Oktober 2021. Dabei zwinge ich niemanden, irgendwo runter zu fahren oder dieses oder jenes zu machen. Die Kinder dürfen sich wirklich frei ausleben. Wenn sie wollen, können sie auch nur in der Halle hin und her fahren. Manchmal spiele ich auch Fangen mit ihnen. Sie spielen immer sehr gerne Fangen oder fahren einfach so die Rampen runter. Zum Beispiel Ruben fährt die ganze Zeit nur Stufen herunter und lässt sich dann von seinem Vater wieder hochschieben. Das Ganze macht er zwei Stunden lang. Da hat er auch richtig Spaß dran.

Die Kids lernen nicht direkt das Skaten. Hier und da zeigen wir ihnen, wie etwas geht.  Aber im Großen und Ganzen geht es darum, dass die Kids einen Ort haben, wo sie sich ausprobieren können, und auch um für den Alltag Fähigkeiten zu lernen. Die kleine Feli beispielsweise, sie ist fünf oder sechs Jahre alt, ist vor zwei Monaten das erste Mal zu einer Session gekommen. Damals hatte sie noch ihren Kippschutz am Rollstuhl. Jetzt hat sie Mountain-Bike-Räder dran und springt bereits Bordsteinkanten runter.

Freunde zu finden gehört auch dazu. Bei uns ist jeder willkommen, egal welcher Nationalität, welchen Geschlechtes oder welchen Alters. Wir hatten auch schon jemanden mit da, der an die 50 Jahre alt war. Er hat nur zugeguckt, aber war auch willkommen.

Manchmal mache auch nur ich etwas und die Kids gucken zu. Sie kommen dann danach zu einem und fragen wie man das gemacht hat, oder ob das gefährlich ist und ob man sich dabei weh tun kann. Die meisten sind mit dem Alltagsrollstuhl da. Das liegt daran, dass die Skate-Rollstühle einfach sehr teuer sind und in 90 % der Fälle nicht von der Krankenkasse übernommen werden. Meiner ist quasi unter der Hand zum Skate-Rolli geworden. Er ist auch als Alltagsrolli abgerechnet. Er hatte andere Gabeln, Vorderräder, Felgen und Reifen. Das Konzept von meinem Stuhl habe ich selbst mit entworfen. Im Nachhinein haben wir noch in einer Werkstatt die Grind Bar eingebaut.

Man sitzt in dem Rollstuhl so eng wie möglich. Ich persönlich bin aber ein bisschen schmaler geworden, seit ich ihn bekommen habe. Deswegen ist mir meiner theoretisch schon wieder einen Zentimeter zu groß, von der Breite her. Mich stört das aber nicht, da ich ja angeschnallt bin. Man darf auf keinen Fall darin wie auf einer Couch sitzen. Das geht zwar bei einem Alltagsrollstuhl, aber ein Sportrollstuhl sollte passen wie ein Maßschuh.

Ich fahre viel und falle öfter.

Da mein Alltagsrollstuhl auch mein Skaterolli ist, habe ich Skaterrollen montiert. Durch die Skaterollen ist Kopfsteinpflaster manchmal ein bisschen anstrengend. Je kleiner die Rollen sind, desto öfter bleibt man hängen. Ich fahre viel und falle öfter. Ich bleibe auch allgemein öfter mal hängen. Das liegt einfach daran, dass ich manchmal nicht gucke, wo ich lang fahre. Im Großen und Ganzen stört es mich auch nicht, weil ich eigentlich überall klarkomme. Und wenn ich umfalle, steh ich einfach wieder auf. Ich hebe nur für andere kurz die Hand und sage: „Alles gut. Das passiert öfter!“. Dann laufen die meisten Leute auch weiter. Je nachdem, wie man umgefallen ist, versucht man dann sich auf den Rücken zu werfen. Mal ist das schwierig und mal nicht. Ich drücke mich hoch, zieh das Rad nach hinten, und dann stehe ich wieder. Das lernt man mit der Zeit.

Alles was einen irgendwie in die Luft befördert, macht mir wirklich Spaß.

Viele der Tricks kommen vom Skateboarden, sind ähnlich und haben auch die gleichen Namen, sowie die gleiche Radstellung beim Ausführen. Zum Beispiel der „Rock To Fakie“ und der „Blunt To Fakie“. Beim „Rock To Fakie“ hat man eine 90° Rampe, fährt hoch und rollt mit den Vorderrädern über die oben angebrachte Stange. Die Räder bleiben dort kurz hängen und dann fährt man rückwärts wieder runter. Wenn man sogar mit den Rückrädern bis über die Stange fährt und dadurch sogar fast umkippt, ist das der „Blunt To Fakie“.
Das sind Tricks, die ich aktuell sehr gerne mache. Den „Blunt To Fakie“ übe ich gerade. Der „Rock To Fakie“ fühlt sich schon komisch an, weil man im 90° Winkel ist und man weiß, wenn man sich einen Zentimeter zurücklehnt, kippt man nach hinten um. Daher ist das für mich noch ein ziemlich komisches Gefühl. Ich springe auch wahnsinnig gern. Alles was einen irgendwie in die Luft befördert, macht mir wirklich Spaß.

Auch die Schaumstoffgrube macht mir richtig Spaß. Die gibt es in Hof im „Radquartier“. „Front Flip“ und „Back Flip“ ging damals leider nicht, weil dafür der Anfahrtsturm zu niedrig war. Da hat man zu wenig Geschwindigkeit bekommen, auch weil ich damals noch ein bisschen schwerer war. Als ich 2019 angefangen habe, habe ich noch knappe 100 kg gewogen. Und das sind fast 30 kg mehr als jetzt. Mein Gewichtsverlust kam tatsächlich durch die Vernachlässigung der Nahrungsmittel. Ich habe eine Zeit lang sehr wenig gegessen, weil ich damals einen künstlichen Darmausgang bekommen habe. Dadurch habe ich 25 kg in drei Monaten abgenommen. Und ich habe damals auch nicht wirklich nahrhaft gegessen. Besonders gesund ernähre ich mich immer noch nicht.

Ich mache eine Ausbildung zum Zweiradmechatroniker, also repariere ich Fahrräder. Damit habe ich immer gern zu tun, denn ich schraube wahnsinnig gern. In 90 % der Fälle ist auch immer das gleiche kaputt: die Bremsen, Reifen oder Schläuche. Ganz besonders oft auch das Licht. Die Ausbildung ist überbetrieblich, was bedeutet, dass ich sie nur in der Schule mache. Dabei haben wir zwei Praktikumsphasen. Eine geht vier Monate, die andere vier Wochen. Das hebt sozusagen den Praxisteil auf, da es keine richtige Ausbildung ist, sondern eher eine Umschulung. Es ist als Umschulung vom Amt angegeben, und ein Jahr kürzer als eine normale Ausbildung. Das Ganze geht bei mir 26 Monate, statt der 3,5 Jahre.

Julia: Das ist eine Schule für Rehabilitation. Ich gehe auf die gleiche Schule. Da haben wir uns auch kennengelernt. Dort kann man alles machen, außer medizinische Berufe zu erlernen. Ich mach zum Beispiel eine Ausbildung zur Kosmetikerin. Es ist alles in einem riesigen Haus.

Matze: Nach der Ausbildung habe ich schon einen Job in einem Sanitätshaus, in der Prothesen- und Orthesen-Manufaktur. Ich möchte in den Bereich der Alltagsrollstühle und Hand Bikes gehen. Diese repariere ich dann, oder baue die neuen auf. Diesen Bereich hat die Firma 2022 erst neu hereinbekommen. Sie suchen händeringend Leute, die wissen was sie tun. Wir achten vor allem darauf, was die Kunden für Bedürfnisse oder Ansprüche haben. Wenn ein Kunde beispielsweise besonders schwer ist, braucht er einen Schwerlastrollstuhl, der trotzdem sehr leicht ist. Das ist ein riesiges Spektrum. Das ist wirklich sehr spannend.

Wenn man oben auf der Rampe steht, denkt man nicht: „Habe ich heute auf Arbeit irgendetwas vergessen?“

Neben der Ausbildung ist Rollstuhl-Skaten meine Leidenschaft. Das kann man schlecht beschreiben. Es ist nicht wie ein Hobby. Man ist dann in seinem Tunnel und alles drum herum ist weg. Ich habe auch kein Problem damit, eine Einschränkung zu haben. Ich beschäftige mich damit nicht so. Ich nehme es einfach hin. Es geht darum, einfach etwas zu machen, ohne darüber nachzudenken, was man genau macht. Das ist das, was viele an diesem Sport reizt. Wenn man oben auf der Rampe steht, denkt man nicht: „Habe ich heute auf Arbeit irgendetwas vergessen?“ oder „Habe ich eine schlechte Note bekommen?“. Man denkt nur „Überleb‘ ich das oder überleb‘ ich das nicht?“ und dann springt man einfach runter.

Dieses Jahr war ich bei der deutschen Meisterschaft in Berlin. Das war dieses Jahr im Mai. Dort gab es diesmal tatsächlich keine Divisions. Es war quasi frei für alle. Es war auch die erste Meisterschaft nach Corona. Es war auf jeden Fall ein Spektakel, denn wir waren 30 bis 40 Fahrer, vor allem sehr viele Kinder.

An dieser Stelle ein Shoutout an Jonte Hauschildt. Er ist geborener Berliner, wohnt jetzt aber in Bayern. Er hat Unbeschreibliches gemacht. Er hat eine relativ hohe Lähmung und hat sich von einem BMX-Fahrer in eine Kurve ziehen lassen dann den „Hand Plant“ probiert. Das ist mit seiner Lähmungshöhe Weltklasse. Er hat das mit einem kaputten Rollstuhl gemacht, den er sich zwei Wochen vorher sehr stark verbogen hatte. Und zusätzlich hatte er zwei gerissene Felgen. Also Riesen-Respekt an Jonte.

Mein persönlicher Favorit unter den Tricks ist einer, den ich mir auch selbst ausgedacht habe - den 180 „Backside Grind“. Bisher hat den auch noch kaum jemand gemacht. Ich übe noch das normale Grinden, denn das konnte ich bisher nicht, weil ich keine Grindbar hatte. Sobald ich die normalen Grinds ohne Turbulenzen hinbekomme, fange ich auch an, mich zu drehen. Hier im Heizhaus gibt es allerdings aktuell noch nicht die passende Rampe. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Sie (die Eltern) müssen nicht immer dahinterstehen oder Angst haben, wenn man eine Bordsteinkante herunterfährt.

Im Heizhaus arbeiten hauptsächlich Pädagogen, die sich gut um die Kids hier aus dem Viertel kümmern. Ich selbst finde Kinder toll. Aber ich weiß natürlich nicht wie es ist, welche zu haben. Es ist krass zu sehen, wenn ein Kind das erste Mal hier ist und weint, sobald es in die Halle kommt. Alles ist groß, und das Kind ist überfordert. Aber kurze Zeit später fahren sie die Rampen hoch und runter. Und das mit einem Lächeln im Gesicht. Das tut gut.

Es ist auch etwas, wo man den Eltern zeigen kann, was man allein kann. Sie müssen nicht immer dahinterstehen oder Angst haben, wenn man eine Bordsteinkante herunterfährt. Bei uns werden die Eltern allgemein eher von den Kindern gemaßregelt, nach dem Motto: „Papa lass mich los, ich mach das jetzt.“ Bei sehr strengen Eltern gehen auch mal die Workshop-Leiter zu den Eltern der Kinder und erklären denen, dass es ein Sport ist.

In jedem Skatepark, in dem bisher noch kein Rolli-Fahrer unterwegs war, kommt immer der Spruch: „Guck mal, krass! Der macht das mit dem Rollstuhl.“ Da fühlt man sich ein bisschen wie eine Attraktion. Sowas sagen aber meist nicht die Skater, sondern die Kids und deren Eltern, die drumherum stehen. Die Skater sind zu uns, wie zu jedem anderen auch, chillen mit einem und fahren mit einem. Am Ende des Tages geht jeder nach Hause und es war eine gute Session.

Die Kids kommen immer und stellen tausend Fragen, auch manchmal zehnmal die gleiche. Manchmal denkt man sich dann: „Echt süß, aber ich bin ja eigentlich hier, um zu fahren.“ An sich finde ich es aber gut, denn so erfährt der Sport Bekanntheit. Je mehr Leute den Sport kennen, desto normaler wird es. Das „Heizhaus“ zum Beispiel hat uns ja auch berücksichtigt. Da steht ein Schild, welche Sportarten im Park ausgeführt werden dürfen, und da ist „Wheelchair Motocrossing“ auch mit aufgelistet. Das hat man sehr selten, nur in Hamburg und in der „Druckerbude“ in Chemnitz. Die „Druckbude“ wird jetzt auf circa das doppelte der Fläche vergrößert. Der Umbau hat auch schon angefangen. Für mich ist aber tatsächlich zurzeit Mühlhausen interessanter, denn die Skatehalle dort wurde auch umgebaut, und hat jetzt eine Schaumstoffgrube.

In Sachen Barrierefreiheit hat Leipzig noch viel aufzuholen. Was bei uns ‚abgesenkte Bordsteine‘ sind, sind in Hamburg normale Bordsteinkanten. Dort muss es ebenerdig sein. Eine alte Oma kann nicht mal eben die Vorderräder heben. Jemand mit Multipler Sklerose oder Glasknochen in einem Elektrorollstuhl kann die Vorderräder gar nicht anheben. Ich frage mich: „Wie sollen die da hochkommen?“ Sie können vielleicht versuchen mit Vollgas auf die Kante zuzufahren, aber dann können sie leicht umkippen. Ein E-Rolli ist nichts was man mal eben anheben kann, denn die wiegen 150-200 kg.

Außerdem gibt es in Leipzig unfassbar viel Kopfsteinpflaster. Oder auf Asphaltstraßen sind überall Schlaglöcher drin. Geschlossen werden die Löcher auch nicht richtig. Maximal wird da Asphalt reingegossen, und dann hat man eine Wölbung in der Straße. Auch bei Bahnhaltestellen sind echt viele nicht Rolli-gerecht. Als ich bei „Capita“ gearbeitet habe, musste ich immer eine Haltestelle weiterfahren, als notwendig. Dann musste ich die gesamte Strecke bergauf wieder zurück, nur um auf Arbeit zu kommen. Das ist im Winter nicht möglich. Winter gibt es, seit es den Planeten gibt. Da kann die Stadt nicht sagen: „Oh, darauf waren wir nicht vorbereitet.“. Das ist keine Ausrede. Es fällt schon immer Schnee vom Himmel. Wie kann man darauf nicht vorbereitet sein? Zumal der Wetterbericht das ja meistens vorhersagt.

Als im Februar 2021 dieser starke Schneefall war, bin ich teilweise nicht mal bis zum Briefkasten gekommen. Mein Fahrstuhl und mein Briefkasten liegen nur einen Meter auseinander. Als der Hausmeister dann auf unserem Hof Schnee geschippt hat, wollte ich raus. Es hat mich wütend gemacht, weil ich schon seit einer Woche in der Wohnung festhing. Ich dachte dann, da es schon halbwegs plattgelatscht war, dass ich das schon schaffen werde. Ich bin 100 Meter weit gekommen, und dann auf der Straße stecken geblieben. Ein Autofahrer hat, anstatt mir zu helfen, mich nur angehupt. Am Ende haben mich ein älteres Ehepaar und eine weitere Omi dort rausgezogen. Sie haben mich dann auch zum Fahrstuhl zurückgebracht.

Am besten ist es, es wie bei jedem anderen auch zu machen. Man fragt, ob man helfen kann, und wenn ich „nein“ sage, einen schönen Tag wünschen.

Manche Leute sind auch zu hilfsbereit. Ich habe es lieber, „Rollstuhl-Honk“ genannt zu werden, oder angehupt zu werden, als wenn man mich einfach so anfässt. Als ich noch Griffe hinten am Rollstuhl hatte, war ich grade aus der Bahn ausgestiegen, und wollte zu einer Ampel fahren. Plötzlich packt mich hinten jemand, und rennt mit mir in eine andere Bahn rein. Er wünscht mir dann einen schönen Tag, und ich habe gesagt, dass ich hier gar nicht rein wollte. Der hat mich einfach in die Bahn gestellt, und die Tür ist zu gegangen. Ich musste dann eine Haltestelle fahren, aussteigen und den ganzen Weg wieder zurückfahren.

Manche fragen, ob sie die Tür aufhalten sollen und ich sage: „Nein danke, das geht.“ Dann halt die Tür bitte nicht auf. Lass die Tür in Ruhe. Ich gehe ja auch nicht zu jemandem, der die Tür aufmachen will, und reiße sie ihm aus der Hand. Manchmal stellen sie sich dann auch so hin, dass ich nicht mal vorbeikomme. Das ist das Schlimmste. Lieber werde ich angeschrien und kann zurück schreien, als dass jemand versucht zu freundlich zu sein und dann übergriffig wird.

Am besten ist es, es wie bei jedem anderen auch zu machen. Man fragt, ob man helfen kann, und wenn ich „nein“ sage, einen schönen Tag wünschen. Fertig. Wenn ich im Laden eine kleine Person sehe, die an etwas nicht rankommt, und sie es aber gar nicht braucht, gebe ich es ihr ja auch nicht trotzdem runter. Die Person möchte es ja nicht haben.
Letztens ist mein Kumpel Benni durch mein Verschulden hingefallen. Er lag dann mit dem Rolli auf der Seite. Benni kommt allein auch nicht wieder hoch. Da kam ein Mann und wollte fragen, ob er helfen kann. Benni wollte gerade „ja“ sagen und ihm erklären wie. Der Mann packt ihn an seinem verklemmten Arm und zieht daran. Benni hat vor Schmerzen geschrien und ich habe ihm gesagt: „Hören Sie auf, er schreit doch schon.“. Danach kam ein älterer Jugendlicher und hat gefragt, wie er ihm am besten helfen kann. Benni hat ihm das erklärt, und er hat es daraufhin genauso gemacht. Einfach irgendwie anfassen ist nicht gut. Dabei hätte er ja seinen Arm auskugeln können. Es ist ja freundlich gemeint, aber bitte wartet darauf, was die Person sagt. Bitte fasst die Person nicht einfach irgendwie an, oder handelt übergriffig.

David Lebuser hat mal gesagt hat: „Der Mensch ist nicht behindert. Behindert ist die Umgebung.“ Ehrlich gesagt habe ich nicht das Gefühl, dass es besser wird. Wenn ich mir die Inklusionsziele bis 2030 anschaue, die da wären: barrierefreie Geldautomaten. Das ist das Inklusionsziel Deutschlands bis 2030. Ich habe über ein Jahr nach einer halbwegs bezahlbaren barrierefreien Wohnung gesucht, bis meine Schwester dann eine gefunden hat. Die ganzen Neubauwohnungen sind alle schön und barrierefrei, aber die kann sich keiner leisten.

Für Menschen im Rollstuhl gibt es viele Möglichkeiten im Berufsleben, aber sie werden viel zu selten angeboten. Es wird immer nur gesagt, wenn man im Rollstuhl sitzt, soll man im Büro arbeiten. Einen Stuhl hätte man ja schon. Man wird irgendwie entweder zur Diakonie oder in einen Call Center abgeschoben. Das Arbeitsamt schickt mir immer noch Vermittlungsvorschläge für Call Center, obwohl sie mich selbst zu der Ausbildung gebracht haben.

Man kann mit uns normal reden. Ihr müsst uns also nicht wie kleine Kinder behandeln.

So läuft es mit allen anderen Dingen, die Veränderung beinhalten. Grundsätzlich ist man erstmal dagegen. Es wäre doch alles nicht so schlimm, wie es dargestellt wird. So tun es Leute ab, die mit Inklusion keine Berührungspunkte haben. Die Stadt guckt, was möglich ist. Der Großteil der Bevölkerung ist dann aber der Meinung, es wäre nicht nötig. Meiner Meinung nach gibt es zu wenig eingeschränkte Personen in der Regierung, beziehungsweise in der Politik. Wenn eingeschränkte Leute auch mal etwas zu sagen hätten, dann würde sich in der Richtung auch etwas verändern. Ich glaube in Deutschland gibt es nur einen Politiker, der im Rollstuhl sitzt, und das nach einem Attentat. Er ist der einzige Rollstuhlfahrer im gesamten Bundestag. Sonst habe ich dort noch nie jemanden gesehen, weder zur Besichtigung noch im Fernsehen. Ich denke dort sollte man ansetzen.

Mein Fazit lautet: Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass beispielsweise das übergriffige Verhalten aufhört. Die Menschen sollen aufhören, uns wie rohe Eier zu behandeln. Wir sind Mitglieder der Gesellschaft. Wir sind keine Kinder. Die meisten von uns sind erwachsen. Man kann mit uns normal reden. Ihr müsst uns also nicht wie kleine Kinder behandeln.

Interview geführt am: 10.11.2022

Interview veröffentlicht am: 24.01.2023