Kochen für die Nachbarschaft im Inklusiven Nachbarschaftszentrum in Lindenau
Unsere Regionalbeauftragte für Leipzig, Sonja Golinski, sprach mit Sophia Goldhammer, Leiterin des Inklusiven Nachbarschaftszentrums in Trägerschaft des Mobilen Behindertendienstes Leipzig e.V. über ihr Kochprojekt während der Corona-Pandemie bedingten Schließung des Zentrums in Leipzig Lindenau.
Relativ am Anfang der Kontaktbeschränkungen habt ihr im Inklusiven Nachbarschaftszentrum begonnen, zu kochen und das Essen in Gläsern vor der Tür zum Mitnehmen anzubieten. Wie bist seid ihr auf diese Idee gekommen?
Innerhalb der ersten Woche der Kontaktbeschränkungen wurde ich in eine „Corona-Support-Gruppe“ via Telegramm eingeladen, in der Nachbarschaftshilfen und weitere Hilfen organisiert werden sollten. Dort gab es Menschen aus Risikogruppen, die sich beim Einkaufen etc. helfen ließen. Gleichzeitig entdeckte ich über die Sozialen Medien, dass Gabenzäune in verschiedenen Teilen Leipzigs eröffnet wurde. Meine Leidenschaft zum Kochen gab der Idee den sprühenden Funken und entzündete sie. Ich dachte, dass Erkrankte und auch andere sicher eine frische, selbstgekochte und gesunde Mahlzeit gebrauchen können.
Wie ist das Angebot angenommen worden?
Das Angebot wurde zu Beginn täglich in den Sozialen Medien von uns beworben, mit Hilfe von Bildern und Hinweisen. Die Hinweise enthielten die Anzahl der Portionen und das Essen, was es gab. In der ersten Woche hingen die Portionen manchmal mehrere Stunden, aber sehr schnell waren alle Portionen innerhalb von maximal zwei Stunden abgenommen. Anfangs kochten wir täglich ungefähr 25 Portionen, was sich schnell auf ca. 35 Portionen steigerte. An guten Tagen schafften wir sogar um die 50 Portionen. Faszinierend war, dass dann immer alle Portionen in Windeseile weg waren. Sogar als unsere Tafel am Tor geklaut wurde, auf der stand, was die Tüten beinhalten und wir keinen täglichen Post in den Medien mehr veröffentlichten, wurden immer alle Portionen innerhalb von 1 bis 2 Stunden abgeholt.
Gibt es besondere Momente, die du teilen möchtest? Hast du Erfahrungen gemacht, die du nicht erwartet hättest?
Über die Sozialen Medien erhielten wir viel positive Rückmeldung, Lob und Anerkennung. Gleichzeitig erhielten wir darüber auch Unterstützung, weil sich Leute gerne solidarisch zeigen wollten. So spendeten sie zum Beispiel Gläser oder Geld. Zwei Frauen meldeten sich auch und halfen ab und zu, Essen zu kochen. Das hat mich alles sehr begeistert.
Meine schönsten Momente waren die, in denen ich mit Menschen in Kontakt kam. Ein älterer Mann (Witwer) erzählte mir in Kürze seine Lebensgeschichte. Vor allem in den letzten Jahren wurde er stark vom Schicksal getroffen. Er war außer sich vor Freude, dass wir dieses Angebot schalteten, weil er selber nie kochen gelernt und zum Leben weniger als genug Geld hätte. Einmal kam er extra zu mir, um mir zu sagen, dass er nie gedacht hätte, dass fleischloses Essen so gut schmecken kann.
Außerdem entdeckte ich, dass es Bedarfe an Stellen gab, die ich nicht im Blick hatte. Familien, denen sonst das Essensgeld für die Schule oder Kita bezahlt wird, mussten nun auf einmal die Verpflegung zu Hause gewährleisten, ohne das Geld ausgezahlt zu bekommen. Auch das hat mich berührt.
Alles in allem hat es mir geholfen, zu verstehen, dass unsere sonstige Zielgruppe – vor allem Menschen mit Behinderung – gut in ein Sicherheitsnetz eingebettet sind. Das ist in der Pandemiezeit gut, verhindert aber noch immer und oft genug, dass sich Menschen mit Behinderung selbstbestimmt, frei und inklusiv ausleben können. Außerdem hat es mir deutlich gemacht, dass dieses Sicherheitsnetz nur ein existenzielles, aber kein soziales ist. Viele Besucher*innen mit Behinderung haben kein soziales Umfeld, mit dem sie telefonisch in Kontakt bleiben konnten. Viele werden es still und starr in Einsamkeit einfach ausgehalten haben. Das muss sich ändern!
Was wird aus diesem Projekt, wenn die Kontaktbeschränkungen wieder aufgehoben werden?
Diese Frage habe ich mir schon früh gestellt, weil wir ja lange genug annahmen, dass wir (das Inklusive Nachbarschaftszentrum) nicht allzu lange geschlossen bleiben werden. Prinzipiell war klar, dass wir dieses Kochprojekt nur als Ausnahme durchführen. Schon allein die immensen Kosten, die wir so gut es ging, gering gehalten haben – wir erzielten teilweise Kosten von unter 50 ct pro Portion – könnten wir jetzt nicht mehr lange stemmen. Wir erhielten viel Hilfe und nutzten auch alle finanziellen Ressourcen, die sich aus unserem vorherigem Alltagsbetrieb ergeben haben.
Gleichzeitig wurde mit den ersten Lockerungen auch klar, dass wir als Gesellschaft auch mit weiteren Lockerungen nicht sofort in die Normalität zurückkehren und die Bedarfe bei vielen Menschen noch länger bestehen bleiben werden. Deshalb kochen wir noch immer.
So wie es aussieht, bekommen wir ab nächster Woche die Freigabe zur Öffnung - unter Einhaltung eines abgestimmten Hygieneplanes. Dann wäre auch die Koordination an Personen und Zeiten sowie den einzelnen Prozessen sehr schwer, sodass wir vermutlich doch zu einem Ende kommen. Im persönlichen Gespräch mit den Menschen, die unser Angebot nutzen, wird aber auch deutlich, dass viele sich jetzt darüber freuen, aber nicht mehr darauf angewiesen sind.
Außerdem haben wir in unserem Wochenprogramm viele Kochangebote, die vor der Corona-Zeit schon sehr gut angenommen wurden. In unseren Angeboten geht es dann aber eher um Kontaktmöglichkeiten und Fähigkeitenerwerb. Diese Angebote laufen nicht kostenfrei, sondern immer mittels Beteiligung durch einen Unkostenbeitrag. Dieser dient schließlich der Refinanzierung der Lebensmitteleinkäufe. Auch wenn diese Angebote noch eine Weile ausgesetzt werden, da sie aus Hygienegründen noch nicht zulässig sind, werden sie wiederkommen. Außerdem wollen wir den Fokus zurückführen auf unsere eigentlichen Zielgruppen und ihnen das geben, was sie am meisten brauchen: Kontakt, Nähe mit Abstand und Normalität.