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Mobil sein ohne Hindernisse - nicht immer selbstverständlich

ÖPNV/SPNV für alle – ein Projekt des Landesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter Sachsen e. V.

„Wir wünschen uns, dass die Barrierefreiheit den gleichen Stellenwert erhält wie beispielsweise der Brandschutz“, sagt Anne Hähnel, Projektkoordinatorin beim Landesverband Selbsthilfe Körperbehinderter Sachsen e. V. (LSKS). „Nur so können die Auflagen der UN-Behindertenrechtskonvention auch in Deutschland endlich erfüllt werden“.

ÖPNV ist die Abkürzung für Öffentlicher Personennahverkehr und SPNV steht für Schienenpersonennahverkehr.

Anne Hähnel leitet derzeit das Projekt „ÖPNV/SPNV für alle“, welches sich haupt- und ehrenamtlich einsetzt, dass alle Menschen selbstbestimmt und ohne Hindernisse Bus, Straßenbahn, Fähre, Zug oder Schwebebahn fahren können. „Insbesondere sollen alle mobilitätseingeschränkten Menschen die Möglichkeit haben, ohne Probleme und im Idealfall selbstständig den ÖPNV/SPNV nutzen zu können“, erklärt Anne Hähnel.

 

 

Barrierefrei bedeutet auch ohne Hilfe

Barrierefrei bedeutet für den Interessenverband zum einen, dass niemand mehr den Mitfahrwunsch vorab anmelden muss – doch das ist momentan noch Zukunft. Zum anderen gehört zum barrierefreien ÖPNV/SPNV auch die Gestaltung von Haltestellen und die Ausstattung der Verkehrsmittel wie Stellflächen für Rollstühle, Anordnung der Haltewunschtaster und Sprechanlage oder auch die Kennzeichnung entsprechender Sitzplätze dazu. Genauso wichtig ist die Aufbereitung der Informationen für alle Fahrgäste, die gleichermaßen von blinden, gehörlosen und lernbehinderten Menschen nutzbar sein müssen.

 

Technische Forderungen im ÖPNV/SPNV als Grundsatzdokument

Um diese Ziele zu erreichen, formulierte der LSKS ein Grundsatzdokument: dieTechnischen Forderungen im ÖPNV/SPNV für alle. Unter Federführung des Ehrenvorsitzenden Dr. Peter Münzberg entstand das detailreiche Papier mit Haltestellenstandards und technischen Maßen für die Gestaltung von Verkehrsmitteln und ist als Mindeststandard zu verstehen, wenn DIN-Normen, z. B. bei Haltestellen aufgrund der landschaftlichen Umgebung, nicht eingehalten werden können. Es berücksichtigt die Reisekette aller Nutzergruppen mit Beeinträchtigung. Das Dokument ist die Arbeitsgrundlage für den LSKS und dient als Empfehlung an die Verkehrsunternehmen und -verbünde. Die Technischen Forderungen sind in dieser Form einmalig. „In anderen Bundesländern gibt es eine solche umfassende und kluge Handreichung nicht. Wenn wir zu Fachtagungen in Deutschland unterwegs sind, nehmen wir diese gerne ausgedruckt mit. Das Angebot wird interessiert von anderen Entscheidern bzw. Tagungsteilnehmern vor Ort mitgenommen“, berichtet die Projektleiterin.

Der LSKS arbeitet eng und partnerschaftlich mit sächsischen Verkehrsverbünden, Verkehrsunternehmen, Landratsämtern, Behörden, Behindertenbeauftragten und Interessenvereinen zusammen. Je nach Region finden regelmäßig öffentliche Projektgruppenberatungen in Sachsen statt. Hier werden gegenwärtige Probleme besprochen und Aufgaben verteilt. Hinweise von den Fahrgästen werden ebenfalls aufgenommen und auf den Tisch gebracht. „Oft erhalten wir die Hinweise der Fahrgäste über die Behindertenbeauftragten oder den jeweiligen Interessenvereinen vor Ort weitergeleitet. Gerne können uns Fahrgäste auch direkt kontaktieren und informieren“, empfiehlt die Projektleiterin.

Die Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsunternehmen geht weit über die Beratungen hinaus, die Expertise vom LSKS ist beispielsweise bei der Begehung und Vermessung von Haltestellen erwünscht oder es werden Planungs- und Baupläne von Haltestellen im Umbau oder Neubau zur Begutachtung hinsichtlich der Barrierefreiheit eingereicht. „Diese Begutachtung sollen gern weitere sächsische Verkehrsunternehmen und Städte nutzen. Im Planungsstadium kann die Barrierefreiheit noch berücksichtigt werden, bei einer fertigen Haltestelle oder einem fertig gebauten Fahrzeug nur noch schwer und mit viel Aufwand“, erklären und wünschen sich die Projektmitarbeiter einstimmig.

 

Mobil unterwegs sein
 

In Gemeinschaft mit den Verkehrsbetrieben bietet der LSKS besondere Mobilitätstrainings in Bus, Straßenbahn oder Zug an. Hier können Blinde und Sehbehinderte als auch Menschen mit Rollstuhl und Rollator sowie Begleitpersonen unter anderem das Ein- und Aussteigen üben, das richtige Positionieren im Abteil probieren und Verkehrsregeln besprechen. „Wir bieten auch Schulungen im Umgang mit Menschen mit Behinderung für die Mitarbeiter von Verkehrsunternehmen an. Das Sensibilisieren und das Verständnis füreinander sind wichtig“, erklärt Anne Hähnel.

 

Über Erfolge und Hürden

Der LSKS macht sich seit 2014 mit seinem Projekt stark für einen barrierefreien ÖPNV/SPNV und wird durch den Freistaat Sachsen für diese Aufgabe gefördert. Die Erfolge spüren wir alle, die regelmäßig Bus oder Bahn vor allem in Dresden bzw. in den Gebieten, in denen das Projekt vor Ort wirkt, nutzen. „In den Städten sind die meisten Straßenbahnen und Busse barrierefrei geworden. Im Ländlichen Raum sieht es noch anders aus“, berichtet Anne Hähnel weiter. Im Schienenpersonennahverkehr in Sachsen wurde im letzten Jahr ein Erfolg bei der Deutschen Bahn verzeichnet. Durch das Engagement des Projektes und weiteren Interessenvertretungen konnten die Pläne der Bahn, alle Bahnsteige bundesweit auf 76 cm zu erhöhen, für Sachsen zunächst abgewendet werden. „Hier konnten wir gemeinsam mit den Verkehrsverbünden erreichen, dass die Bahnsteighöhe bei 55 cm in vielen sächsischen Bahnhöfen im Nahverkehr nach Möglichkeit erhalten bleibt. Die Deutsche Bahn strebt bundesweit eigentlich eine Bahnsteighöhe von 76 cm an. Das sorgt aber dafür, dass Rollstuhlnutzer noch beschwerlicher in den Zug kommen. Ein Umbau der schon zum Teil barrierefreien Bahnsteige in Sachsen auf 76 cm ist für uns nicht nachvollziehbar und ist eine Geldverschwendung. Es ist aus unserer Sicht besser die Züge anzupassen, die zum Großteil sowieso schon auf die Bahnsteighöhe von 55 cm ausgelegt sind“, erklärt Jana Treffler-Klingner, Projektmitarbeiterin.

Der Beitrag „Bahnreport“ vom Hessischen Rundfunk zeigt und erläutert die Problematik mit der Bahnsteighöhe näher (ab 10. Minute).
 

Die Aufgaben für das Projekt und den LSKS sind noch lange nicht erreicht, zumal die Forderung der Bundesregierung bis 1. Januar 2022 die Barrierefreiheit im SPNV zu schaffen, noch nicht in Sicht ist. „Es gibt deutschlandweit keine einheitlichen Züge und unterschiedlich hohe Bahnsteige. Wir schätzen, dass es noch Jahre dauern wird, bis mobilitätseingeschränkte Menschen ohne Voranmeldung und ohne Überraschungen am Bahnsteig und ohne Hilfe reisen können“, bedauert Anne Hähnel. „Wir müssen noch viel Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit im SPNV und im ÖPNV leisten. Es fängt schon bei den Ausschreibungsunterlagen an, oft wird in diesen auch keine Barrierefreiheit gefordert“.

 

Bundesteilhabepreis 2019

Aufwind und Anerkennung brachte der Bundesteilhabepreis der Bundesregierung Deutschland. Diesen bekamen die Mitarbeiter vom LSKS-Projekt 2019 vom Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, im Rahmen der Inklusionstage in Berlin übergeben. Das Projekt setzt sich gegen mehr als 80 Mitbewerber durch. „Diese Anerkennung hat uns große Bestätigung gegeben und wir tragen diese Würdigung weiter an unsere vielen Projektpartner wie den Dresdner Verkehrsbetrieben, dem Verkehrsverbund Oberelbe, dem Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien, dem Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig, Mitteldeutscher Verkehrsverbund oder der Deutschen Bahn, denn ohne sie kommen wir auch nicht weiter“, sagt Anne Hähnel.

 

 

Um dem Hauptziel, den Stellenwert von Barrierefreiheit zu etablieren und diese im ÖPNV/SPNV auch umzusetzen, sagt Anne Hähnel bekräftigend: „Bleiben wir dran - hartnäckig, konstruktiv und freundlich, denn ohne Hindernisse kommt schließlich jeder besser zu seinem persönlichen Ziel“.


Ansprechpartner*innen für Dresden/Elbland und Ostsachsen/Niederschlesien-Oberlausitz sind:

Projektkoordination
Anne Hähnel (derzeitige Projektkoordinatorin)
E-Mail: haehnel@selbsthilfenetzwerk-sachsen.de
Telefon: 0351 479 35013

Kerstin Vietze (Elternzeit)
E-Mail: vietze@selbsthilfenetzwerk-sachsen.de
Telefon: 0351 479 35013
Dienstsitz: Selbsthilfenetzwerk Sachsen (SHNW) Michelangelostr. 2/ EG, 01217 Dresden

Regionale Koordination des Gebietes Nordsachsen/Leipziger Umland
Jana Treffler-Klingner
E-Mail: oepnv-treffler@ivk-grimma.de
Telefon: 03437 919046
Dienstsitz: Außenstelle Grimma, August-Bebel-Str. 10, 04668 Grimma

Mitarbeit im Gesamtprojekt:
Thomas Naumann
E-Mail: naumann@selbsthilfenetzwerk-sachsen.de
Telefon: 0351 479 35018

LSKS-Projektverantwortlicher (Ehrenamt):
Jens Oertel
E-Mail: mobilitaet@bsk-sachsen.de

LSKS-Projektbeauftragter (Ehrenamt):
Dr. Peter Münzberg
E-Mail: oepnv@bsk-sachsen.de

Das Gebiet der Region Chemnitz/Westerzgebirge/Vogtland obliegt der Zuständigkeit des Sozialverbandes VdK Sachsen e. V.

www.vdk.de/sachsen/pages/oepnv_fuer_alle/28513/oepnv_fuer_alle

 

Vielen Dank für das freundliche Gespräch mit Abstand.

drei Personen: eine ältere Person im Rollstuhl mit grauem Haar von der Seite, in der Mitte steht eine Frau mit halblangen Haaren und Brille, rechts ist ein weiterer Mann in Rollstuhl, sie stehen hinter einem Stand. Im Hintergrund sind Rollups zum Projekt.

Ein Teil des Projektteams "ÖPNV/SPNV für alle" li: Dr. Peter Münzberg, mi: Anne Hähnel und re: Thomas Naumann

Frau mit kurzen Haaren und Brille im Rollstuhl am Bahnsteig im Interview

Jana Treffler-Klingner, Ansprechpartnern für die Region Nordsachsen/Leipziger Umland

Rollstuhlnutzer fährt Rampe hoch in den Zug

Im Handrollstuhl selbstverständlich unterwegs sein